Schlafloser Papst

Kardinal Kasper, Präsident der Vatikanischen Kommission für die Beziehungen zu anderen christlichen Gemeinschaften und zum Judentum, hielt am Mittwoch vor einer Woche eine Pressekonferenz in Paris ab. Dabei zeigte sich wieder einmal, wie das konziliare Rom die traditionelle katholische Bewegung grundsätzlich mißversteht. Aus einem Reuters-Bericht möchte ich das Denken des Kardinals so getreu wie möglich in fünf Punkten zitieren, und dann kommentieren:

1) Die gegenwärtig alle zwei Monate stattfindenden Lehrgespräche zwischen vier römischen Theologen einerseits und einem Bischof und drei Priestern der Priesterbruderschaft St. Pius X. andererseits, erweisen sich als nicht gerade einfach. 2) Das Hauptproblem ist der Begriff der Tradition: „Wollen wir eine lebendige Tradition oder eine versteinerte Tradition haben?,“ fragte der Kardinal. 3) Er sagte, daß er zwar für diesen Dialog mit der Priesterbruderschaft sei, allerdings zu den Bedingungen von Rom, nicht zu denen der Bruderschaft. 4) Wenn eine Übereinkunft erreicht werden soll, muß die Priesterbruderschaft Zugeständnisse machen und die konziliaren Reformen annehmen. 5) Ohne eine solche Übereinkunft wird die Priesterbruderschaft weder einen amtlichen Status besitzen, noch werden ihre Priester als katholisch anerkannt, noch wird ihnen gestattet sein, ihr Amt auszuüben.

(1) Natürlich erweist es sich als schwer, die Aussage „2 + 2 = 4“ (vertreten von der Tradition und der Bruderschaft) mit der Aussage „2 + 2 = 4 oder 5 “ (Vatikanum II und konziliares Rom) zu versöhnen. Wir haben hier zwei grundlegend verschiedene Auffassungen von Rechenart vor uns, und zwei noch mehr grundlegend verschiedene Auffassungen von der katholischen Wahrheit.

(2) „2 + 2 = 4“ ist die Wahrheit, unverändert und unveränderbar, und deshalb ist es die „Tradition.“ Hingegen ist „2 + 2 = 4 oder 5 “ eine ganz neue Rechenart und so „lebendig“ wie man nur will, aber sie entspricht eben gar nicht der Wirklichkeit und ist somit in keiner Weise, außer als Irrtum, traditionell.

(3) Wenn wir über die wahre Rechenart sprechen, so wird das zu den Bedingungen dieser wahren Rechenart geschehen, und nicht zu den Bedingungen der beiden Gesprächsteilnehmer, selbst wenn einer von ihnen diese wahren Bedingungen vertritt.

(4) Wer will oder braucht denn überhaupt eine Übereinkunft, die auf „2 + 2 = 4 oder 5 “ basiert (Vatikanum II)? Doch nur Vertreter des Wahnsinns, die kein Interesse mehr an der wahrhaftigen Rechenart haben!

(5) Wenn der „offizielle Status,“ die „Anerkennung als Priester“ und die „Erlaubnis, das Amt auszuführen“ allesamt vom Annehmen der Aussage abhängen, daß 2 + 2 sowohl 4 als auch 5 sein kann, dann werden dieser „Status,“ diese „Anerkennung“ und diese „Erlaubnis“ auf Kosten der Wahrheit erkauft. Doch wenn ich die Wahrheit verkaufe, wie kann ich sie dann noch besitzen, um sie zu verkünden? Und wenn ich die Wahrheit nicht mehr länger verkünden kann, was für ein Priester könnte ich dann noch sein und was für ein Amt noch ausüben?

Deshalb lautet die Schlußfolgerung: Nicht nur die „Tradition,“ sondern vielmehr die Wahrheit gebietet es, daß die Römer und die Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht miteinander übereinkommen. Die Römer haben durch ihr Verändern der Wahrheit die Glaubenswahrheit verloren: Objektiv gesprochen ermorden sie die Wahrheit sogar, – so wie Macbeth „den Schlaf mordete.“ Im selben Reuters-Bericht wird der Papst zitiert, wie er sagte, daß das Problem mit der Priesterbruderschaft „ihm den Schlaf raubt.“

Heiliger Vater, bitte glauben Sie uns, daß die Wahrheit weit über der Priesterbruderschaft emporragt und letztere nur unter den bescheidenen momentanen Wahrheitsverteidigern einzureihen ist. Jeder aus der Bruderschaft wünscht Ihnen alles Gute – und ganz besonders, gut zu schlafen. Nicht die Priesterbruderschaft, sondern die ermordete Wahrheit hält Sie des Nachts wach.

Kyrie eleison.