Glaube der Atheisten?
Ein faszinierendes Zitat des berühmten deutschen Komponisten Johannes Brahms (1833 – 1899) zeigt, daß selbst ein Mensch ohne jeglichen religiösen Glauben noch eine objektive Ordnung erkennen kann. Eine solche Erkenntnis stellt einen Haltegriff an der Wirklichkeit dar und gewährte Brahms den Zugriff auf eine große Schönheit, welche sich in seiner Musik widerspiegelt. Die Krise unzähliger moderner Seelen hingegen besteht gerade aus ihrer Überzeugung, daß es nichts Objektives gebe. Somit sind diese Seelen in ihrer eigenen Subjektivität gefangen – ein Zustand, der ein sehr kahles Gefängnis darstellt und zu einer Musik von Selbstmördern führt.
Für seinen Freund, den hervorragenden Geiger Joseph Joachim (1831 – 1907), komponierte Brahms im Jahre 1878 eines seiner schönsten und beliebtesten Werke, das Violinkonzert in D-Dur. Als Joachim es ihm vorspielte, sagte Brahms: „Hm, ja, auf diese Weise könnte es gespielt werden.“ Anders gesagt hörte Brahms bereits beim Komponieren des Konzerts in seinem geistigen Ohr eine ganz bestimmte Spielweise dafür. Trotzdem anerkannte er die etwas andere Spielart seines Werkes durch einen anderen Musiker.
Zweifelsohne hätte Brahms gewisse Arten, sein Konzert auszuführen, nicht akzeptiert. Doch solange ein Künstler durch eine andere Art und Weise sich dem gleichen Ziel näherte, das auch Brahms beim Komponieren im Sinn gehabt hatte, sah er keine Notwendigkeit, auf seiner eigenen Spielweise zu beharren. Das objektive Ziel war wichtiger als die subjektive Vorgehensweise. Solange also Brahms durch seine Komposition den jeweiligen Künstlern das Erreichen dieses Ziel ermöglichte, durften sie in gewissen Grenzen das Konzert gerne auf ihre Art spielen. Das Objekt steht über dem Subjekt.
Letztendlich heißt aber dieser Vorrang des Objekts, daß Gott über dem Menschen steht, aber Brahms war immerhin kein Gläubiger. Der katholische tschechische Komponist Antonin Dvorak (1841 – 1904), welcher mit Brahms befreundet war und ihn bewunderte, sagte einmal über ihn: „Was für ein großer Mann! Was für eine große Seele er hat! Aber er glaubt an nichts! Er glaubt nichts!“ In der Tat war Brahms kein Christ. In seinem deutschen Requiem vermied er absichtlich jedwede Erwähnung von Jesus Christus. Außerdem gab er nie zu, an irgendetwas zu glauben. So behauptete er beispielsweise, daß die für sein Requiem verwendeten Texte der Heiligen Schrift lediglich dem Ausdruck von Gefühlen dienen sollten, aber keiner Überzeugung und keinem Glauben. Hier steht also das Subjekt über dem Objekt. Und dürfen wir nicht meinen, daß Brahms’ Bekenntnis zum Unglauben für eine gewisse in seiner Musik oft fehlende Ungezwungenheit und Freude verantwortlich ist?
Dennoch enthält Brahms’ Musik eine Art herbstlicher Schönheit und eine sorgfältig ausgearbeitete Anordnung. Diese Handwerkskunst und dieser Widerhall natürlicher Schönheit, beispielsweise in seinem Violinkonzert, erinnert an ein Wort unseres Herrn, wo Er sagt, daß manche Seelen Ihn zwar durch das Wort leugnen, aber durch die Tat noch ehren (Matthäus 21,28–29). In der heutigen Zeit leugnen fast alle Seelen unseren Herrn durch das Wort. Wieviele Menschen gibt es doch, welche auf die eine oder andere Weise – beispielsweise durch Musik oder durch die Natur – wenigstens jene Ordnung noch ehren, mit der unser Herr sein gesamtes Weltall ausgestattet hat? Diese Art zu glauben ist natürlich noch lange nicht der alleinseligmachende katholische Glaube, doch sie stellt wenigstens jenen glimmenden Docht dar, welcher noch nicht ausgelöscht werden soll (Matthäus 12,20).
Mögen alle mit der Fülle des Glaubens gesegneten Katholiken solche Seelen um sich herum wahrnehmen. Und erbarmen wir uns jener Scharen von Menschen, welche durch die Feinde Gottes von Ihm weggeführt werden – in der Musik wie in allen Bereichen (Markus 8,2).
Kyrie eleison.