Gleichgewichts-Vorschlag
„Achtet nun darauf, daß ihr tut, wie der Herr, euer Gott, euch geboten hat; weder zur Rechten noch zur Linken sollt ihr davon abweichen!“ Diese Anweisung des Herrgotts, welche Mose an die Israeliten weiterzugeben hatte (Deuteronomium 5,32), gilt gewiß für das auserwählte Volk Gottes auch des Neuen Bundes (Römerbrief 9,25–26). Allerdings ist ihre Anwendung in unserer Zeit schwierig, weil der Hirte des Neuen Bundes geschlagen ist und die Schafe zerstreut sind (Sacharja 13,7). Ist der Papst lediglich auf so leichte Weise geschlagen, daß die Katholiken nicht zu kümmern müßten, wie sie ihm gehorchen sollen? Oder ist er vielmehr so schwerwiegend geschlagen, daß er gar nicht Papst sein kann? In jedem Fall sind die Schafe zerstreut und bleiben dies solange, bis Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht wird.
Derweilen scheint mir ein Brief aus der neuesten Ausgabe des Angelus, der offiziellen Publikation der Priesterbruderschaft St. Pius X. in den USA, auf die Linke abzuweichen. Der Autor des Briefes, Pater S., gibt mehrere Gründe an, warum die Bruderschaft dringend und „so schnell wie möglich in die Hände . . . des Papstes sich begeben“ sollte. Diese Punkte lauten: Erstens sei der Gedanke, daß die römischen Kirchenmänner absichtliche Zerstörer der Kirche sind, bereits stillschweigender Sedisvakantismus. Doch in Wirklichkeit brauche ich weder stillschweigender noch ausdrücklicher Sedisvakantist zu sein, um festzustellen, daß die subjektiven Absichten dieser Kirchenmänner keineswegs den objektiven Schaden schmälern, welchen sie der Kirche zugefügt haben und der Priesterbruderschaft zufügen würden, käme sie unter ihre Kontrolle. Zweitens sei es unrealistisch, wenn die Bruderschaft erst dann in die Hände der Römer sich begeben würde, wenn diese glaubensmäßig ganz konvertiert sind. In Wahrheit genügt aber schon eine einzige Häresie, um zu einem Feind des Glaubens zu werden – und der Modernismus ist eine allumfassende Häresie (siehe Pascendi des Hl. Pius X). Der zu enge Kontakt mit den Römern hat die Bruderschaftsoberen bereits verführt.
Drittens müsse die Bruderschaft so bald als möglich die Doktrin und die Praxis des wahren Glaubens an Rom zurückgeben. In Wirklichkeit entspricht ein solches Zurückgeben aber dem sprichwörtlichen Werfen von Perlen vor die Säue, selbst wenn Rom nur noch halb-modernistisch sein sollte. Viertens habe die Priesterbruderschaft bereits seit so langer Zeit ihre Distanz zu Rom geübt, daß sie riskiert, jedweden katholischen Sinn für Hierarchie, Gehorsam und Autorität zu verlieren. Doch in Wahrheit muß der wahre Glaube in sicherer Distanz zur allumfassenden Häresie gehalten werden. Wenn diese Häresie nicht meine Schuld ist, so wird Gott um meinen katholischen Sinn sich kümmern, solange ich ihm treu bleibe, und sei es für 40 Jahre oder länger in der Wüste, wie er um die treuen Israeliten sich kümmerte (Exodus – Deuteronomium). Und fünftens teile und schwäche der sogenannte „Widerstand“ den wahren Widerstand der Priesterbruderschaft gegen das konziliare Rom. In Wirklichkeit wird die Einheit auf Basis eines nicht-lehrmäßigen Abkommens zu einer Einheit des Irrtums und somit tödlich für die Bruderschaft des Erzbischof Lefebvre. Kurz gesagt hat Pater S. völlig aus den Augen verloren, wie verführerisch und tödlich der Irrtum des Modernismus für den Glauben tatsächlich ist.
Auf der anderen Seite scheint mir ein Priester, welcher nun im Meßkanon die Nennung des Papstnamens verweigert, zu riskieren, auf der rechten Seite vom Weg abzukommen. Wer die tödliche Gefahr des Modernismus für den Glauben erkennt, der sieht auch den riesigen objektiven Schaden, welchen die Konzilspäpste der Kirche zugefügt haben. Doch kann ich aufrichtig sagen, daß überhaupt nichts Katholisches mehr in ihnen vorhanden ist? Haben sie beispielsweise, wie auch Pater S. sagen könnte, nicht wenigstens noch gute subjektive Absichten? Könnte ich dann also nicht die Hl. Messe feiern in Einheit mit dem, was noch an Katholischem in diesen Päpsten verbleibt? Die Amtskirche mag todkrank sein, doch möchte ich meinerseits nicht behaupten, daß überhaupt nichts Katholisches mehr in ihr vorhanden ist. Sie ist noch nicht vollständig tot.
„In sicheren Dingen Einheit, in ungewissen Dingen Freiheit, und in allen Dingen Nächstenliebe.“
Kyrie eleison.