Eiserne Ration

In militärischen Angelegenheiten ist es normal, daß sowohl die Generäle als auch die Soldaten eher den letzten ausgefochtenen Krieg im Kopf haben als den jetzigen. Wer konnte vor dem Ersten Weltkrieg sich einen Stellungskrieg vorstellen? Aber bereits im Zweiten Weltkrieg wurden durch den Einsatz der zwischen den Kriegen entwickelten Panzer die Schützengräben schon wieder überflüssig. Ähnlich ist es auch in religiösen Angelegenheiten. Das 21. ist nicht mehr das 20. Jahrhundert. Und so ist es heute gewiß töricht von den Katholiken des „Widerstands,“ auf etwas ähnliches zu hoffen wie den Aufbau und die Ausbreitung der Priesterbruderschaft St. Pius X. im letzten Jahrhundert. As Beispiel dafür formulierten zwei bewundernswerte heutige Widerständler, der Erste eine generelle und der Zweite eine eher spezielle Klage, welche jedoch beide nicht gerade weise erscheinen dürfen.

Die allgemeine Klage lautet, daß der „Widerstand“ eher auseinanderfällt, anstatt Fortschritte zu machen. Diese „Kommentare“ setzen das Wort „Widerstand“ oft in Anführungszeichen, eben genau um anzudeuten, daß der katholische Widerstand gegen die Konziliarisierung der Priesterbruderschaft kaum eine Form von Organisation ist, sondern mehr eine unbestimmte Bewegung mit einem bestimmten Ziel – namentlich den katholischen Glauben zu retten –, bislang aber noch ohne viele Struktur, um bei diesem Ziel voranzukommen. Doch mögen die Widerständler frohen Mutes sein, denn der Mensch denkt, aber Gott lenkt. Somit braucht etwas, was für uns wie ein menschliches Versagen aussieht, in den Augen des lieben Gottes nicht unbedingt ein Versagen zu sein.

Entsprechend beabsichtigte Erzbischof Lefebvre in den 1970er-Jahren, ein halbes Dutzend katholischer Bischöfe um sich zu scharen, um den Konziliaristen eine große Blockade in den Weg zu stellen. Doch Gott plante etwas anderes. Und so scheiterte der Erzbischof mit diesem Vorsatz, hatte jedoch Erfolg in dem Bestreben, ein weltweites Schatzhaus zur Bewahrung der Kirchenschätze in der Doktrin, in der Messe und im Priestertum aufzubauen. Auf ähnliche Weise gibt es heute Widerständler, welche einen Ersatz für die gefährdete Priesterbruderschaft aufbauen möchten, doch könnte ihr offensichtliche Schwäche (zumindest bisher) darauf hindeuten, daß ein solcher Ersatz nicht im Plane des allmächtigen Gottes liegt. Dennoch gewährleisten (zumindest bisher) diese Widerständler durch ihren Versuch das Überleben des katholischen Glaubens, was gewiß der göttlichen Vorsehung entspricht.

Die spezielle Klage lautet, daß, wenn der „Widerstand“ doch nur Schulen hätte, viele Eltern aus der Bruderschaft die Reihen des „Widerstands“ anschwellen ließen, was sie jetzt nicht tun können, weil ihre Kinder sonst sofort aus den Bruderschaftsschulen hinausgeworfen werden, für welche aber momentan keine angemessene Alternative vorhanden ist. Ich kann nur wiederholen, daß wir nicht im 20., sondern im 21. Jahrhundert für den Glauben kämpfen. Damals in den 1980er-Jahren gab es noch genügend gleichgesinnte katholische Eltern, Lehrer und Priester, um jenen Dreiecksrahmen zu formen, in welchem die Kinder geradlinig heranwachsen müssen. Doch heutzutage? Heute hört man von einer Bruderschafts-Knabenschule, welche in ernsten Schwierigkeiten gewesen sei wegen eines in ihren Wänden erfolgten Ausbruchs jener naturwidrigen Sünde, welche nach Vergeltung zum Himmel schreit. Doch welche Wand könnte Heranwachsende davon abhalten, über die Verherrlichung dieser naturwidrigen Sünde seitens ihrer erwachsenen Landsmänner zu lernen, und über das neu erfundene Wort „Homophobie,“ welches die Verurteilung dieser Sünde als neues „Laster“ verurteilt? Und seit wann sollen Jugendliche nicht ihre Erwachsenen nachahmen? Kann genau genommen noch jemand eine Knabenschule führen seit der Erfindung des Weltnetzes, wo jeder Knabe direkten Zugang hat mit Geräten so klein wie eine Hosentasche? Man muß sogar fragen, sind katholische Einrichtungen überhaupt noch möglich?

Im heutigen religiösen Krieg ist der Tagesbefehl gewiß die eiserne Ration, d.h. was dem Soldat unbedingt zum Überleben notwendig ist, in unserem Beispiel zum Bewahren des Glaubens. Dieser Krieg muß im familiären Heim gewonnen werden, sonst geht er verloren. Gott verleiht den Eltern zum Formen ihrer Kinder eine natürliche Macht, und diese Macht übersteigt – sagen wir, im Verhältnis 5:2 – jede Institution, welche die Kinder deformiert; allerdings wirkt das nur, wenn die Eltern ihre Macht auch ergreifen. Ein kleines Ruder vermag ein großes Schiff zu steuern – außer wenn der Steuermann das Ruder losläßt. Wenn also Eltern ihre Kinder loslassen, so brauchen sie doch kaum die Welt zu beschuldigen, daß sie ihre Kinder in die Hölle führe. Wenn Eltern erwarteten, daß die Bruderschaftsschulen ihre Kinder eher für die Welt denn für den Himmel qualifizieren, mag das dann nicht ein triftiger Grund sein, daß die Priesterbruderschaft ins Schleudern geraten ist?

Kyrie eleison.