Die Bosheit des Modernismus – V

Ehe wir uns -zumindest vorläufig – vom Thema Modernismus verabschieden, müssen wir noch einen wichtigen Punkt zur Sprache bringen, und zwar eine Prophezeiung von Pater Frederick Faber (1814–1863) über unsere eigene Zeit, die in diesen „Kommentaren“ sicherlich schon mehr als einmal zitiert worden ist. Pater Fabers Weissagung zufolge wird das Ende der Welt dadurch gekennzeichnet sein, dass die Menschen Böses tun, während sie wähnen, Gutes zu tun.

Das ist nur allzu logisch. Selbst am Ende der Welt werden die Menschen auch weiterhin ihre ihnen von Gott gegebene Natur haben, die an sich gut ist und an der auch ihre Erbsünde sowie ihre persönlichen Sünden nichts ändern, so schwer diese in der Endzeit auch sein mögen (2. Tim. III. 1–5). Dank dieser ihnen eigenen Natur weisen die Menschen eine inhärente natürliche Neigung auf, Gutes zu tun. Nichtsdestoweniger wird die Masse der Menschen unter dem Antichristen und seinen Vorgängern sich diesem – bereits bestehenden oder noch bevorstehenden – Bösen widerstandslos gefügt haben. Wie werden dieses Gute und dieses Böse in ihnen vereinbar gewesen sein?

Der menschliche Wille kann nichts wollen, was der menschliche Geist ihm nicht vorher gezeigt hat. Jedem menschlichen Wunsch geht zwangsläufig ein menschlicher Gedanke voraus. Der Wunsch nach einem Nicht-Objekt kann nur ein Nicht-Wunsch sein. Deswegen hängt der Wille davon ab, dass der Geist ein Objekt für ihn erfasst hat, und zwischen jedem Willen und dem Objekt, das er erstrebt, muss der Geist als Vermittler tätig gewesen sein, immer unter der Voraussetzung, dass der Geist sein eigenes Objekt erfasst. Doch nun kommt Kant und behauptet, der Geist könne sein Objekt gar nicht erfassen von aussen, sondern lediglich fabrizieren von innen. Somit sind der Wille und sein wirkliches Objekt nicht länger verbunden. In anderen Worten, ein guter Wille kann Dinge anstreben, die in Wirklichkeit schlecht sind, und ein böser Wille kann etwas erstreben, was in Wahrheit gut ist, doch infolge der Erbsünde wird der zweite Fall weniger häufig sein. Anders gesagt: Indem Kant den Geist von der objektiven Realität loslöst, macht er es dem Willen weitaus leichter, etwas Böses zu wollen, weil es gut schien. Deshalb in einer Welt wie heute, wo der Geist von der objektiven Realität allgemein losgelöst ist, ist es für die Menschen weitaus leichter, immer noch guten Willens zu sein, auch wenn sie etwas anstreben, was in Wirklichkeit nicht gut ist, weil der Geist gründlich verkrüppelt worden ist.

Und hier ist, was der Pater Faber prophezeit: Er sagt, am Ende der Welt bestehe das Problem nicht so sehr in bösen Herzen oder schlechtem Willen als vielmehr in guten Herzen mit verkrüppeltem Geist, in anderen Worten, in guten Herzen mit schlechten Prinzipien. Was bedeutet das in der Praxis? Es bedeutet, dass es heute zahlreiche Katholiken geben wird, die zwar den Glauben besitzen und es gut meinen, deren Verstand jedoch nicht richtig funktioniert, weil sie – bisweilen bewusst, meist aber unbewusst – den Lehren Kants folgen, so dass ihr aufrichtiger Glaube dementsprechend geschwächt wird. Sie können nicht mehr erkennen, wie die Neukirche ein Wundbrand am Leibe der wahren katholischen Kirche ist, oder wie die vom Erzbischof gegründete Priesterbruderschaft St. Pius X. von dessen Nachfolgern zersetzt wird. Doch in vielen Fällen beruht die Blindheit solcher Seelen nicht notwendigerweise auf Bosheit oder fehlendem gutem Willen.

Hieraus folgt, dass wenn man mit solchen Menschen zu tun hat, worin das Subjektive durch eine ganze, von Kant verkrüppelte Welt vom Objektiven abgespalten worden ist, nur allzu leicht einer von zwei einander entgegengesetzten, jedoch miteinander verbundenen Irrtümern auftauchen kann. Entweder kann man sagen, solche Seelen seien in ihrem Herzen so unschuldig, dass sie sich in ihrem Geist nicht irren könnten; folglich könne die Neukirche nicht ganz so falsch liegen, und man müsse wieder zu ihr stossen, Pachamama und dergleichen hin oder her. So verhalten sich heute die Führer der Neubruderschaft und alle, die ihr folgen. Oder man kann sagen, die Irrtümer im Geist der Neukirche und der Neubruderschaft, die sich wieder ihrer Obhut unterstellen will, seien dermassen schwerwiegend, dass sie unmöglich die wahre Kirche oder die wahre Bruderschaft sein könnten, und man beide um jeden Preis meiden müsse. Wer so argumentiert und sich so verhält, tritt in die Fussstapfen jener, die als Sedisvakantisten bekannt sind, sowie jener, die nicht über diese Fragen sprechen wollen, aber nichtsdestoweniger ihren Weg gehen.

Erkenne ich hingegen, wie Kant das Subjekt vom Objekt getrennt hat, werde ich weder behaupten, solche Seelen seien guten Willens, und deshalb sei auch ihre Doktrin gut, noch werde ich geltend machen, ihre Doktrin sei dermassen falsch, dass sie bösen Willens sein müssten. Stattdessen werde ich festhalten, dass sie subjektiv guten Willens sein mögen, objektiv jedoch einer so schlechten Doktrin anhängen, dass ich um meiner ewigen Seligkeit willen nicht das Risiko eingehen darf, ihnen zu folgen oder mich mit ihnen gemein zu machen. Und mit dem heiligen Rosenkranz werde ich Unsere liebe Frau bitten, mein Herz und meinen Verstand im katholischen Gleichgewicht zu halten.

Kyrie eleison.