RÖMERBRIEF, KAPITEL IX-XI
Wie kann Gott solche Grausamkeit in Palästina tolerieren?
Sein Plan wird in Erfüllung gehn, er wird am Ende triumphieren!
Die Juden werden in diesen”Kommentaren”wegen der wichtigen Rolle, die sie in der Welt und in den Angelegenheiten der Kirche spielen, häufig erwähnt. In demjenigen seiner Briefe, die vielleicht der grossartigste von allen vierzehn ist, widmet ihnen St. Paulus volle drei Kapitel: IX, X und XI. Sie hatten beim Aufstieg und der Bildung der katholischen Kirche nämlich eine dermassen zentrale Rolle gespielt, dass die ersten Gläubigen empört darüber waren, dass sie Pontius Pilatus zur Kreuzigung Christi getrieben und sich von da an geweigert hatten, irgendetwas mit Christus zu tun zu haben – eine Weigerung, die, mit wenigen rühmenswerten Ausnahmen, bis zum heutigen Tage weitergeht. Tatsächlich werden ihre Ankläger geltend machen, seit der Kreuzigung Christi hätten sie danach gestrebt, die Welt für den Antichristen zu beherrschen, und in unserer gegenwärtigen Zeit kämen sie diesem Ziel näher denn je zuvor – ein beispielloses Unglück für die gesamte Welt. Die Juden werden jedoch antworten, all solche Anklagen entstammten lediglich dem Hass auf die Juden, oder dem”Antisemitismus».
Wo ist die Wahrheit? Die Juden waren das hauptsächliche Hindernis auf dem Weg der Mission von St. Paulus, die katholische Kirche zu verankern, wo immer er konnte, um Seelen für die Ewigkeit zu retten. Deswegen finden sich in seinen Briefen dermassen zahlreiche Hinweise auf sie, und zwar durchaus nicht nur schmeichelhafte – siehe z. B. I. Thessalonicher II, 14–16. Doch ist jene Erwähnung ihrer ein Teil der Heiligen Schrift, und deshalb sind diese Erwähnungen, wie die katholische Kirche lehrt, in allererster Linie das Wort Gottes und nur in zweiter Linie dasjenige ihres menschlichen Autors.
Hieraus folgt, dass, wer Paulus des”Antisemitismus”zeiht, Gott Selbst bezichtigt,”antisemitisch”zu sein. Welchen Sinn man diesem Wort auch unterstellen mag, es hat einen hässlichen Klang. Aber Gott ist die Wahrheit Selbst (Johannes XIV, 6), und Er kann unter keinen Umständen hässlich sein. Darum ist alles, was Paulus über die Juden sagt, wahr und nicht”antisemitisch».
Wenn wir also wissen wollen, was wir über die Juden denken sollen, und uns zu diesem Zweck in der Schrift kundig machen, um zu entdecken, was Gott von ihnen denkt, brauchen wir uns lediglich dem Heiligen Paulus zuzuwenden, der während seines Apostolats dermassen direkte Erfahrungen mit ihnen gemacht hat. Ziehen wir aber Paulus zu Rate, finden wir die vollständigste Darstellung des Problems, das sie bilden, in den erwähnten drei Kapiteln des Römerbriefs. Nicht, dass Pauls Worte, die auf seine apostolische Erfahrung zurückgehen, von irgendwelcher Bitterkeit geprägt wären, im Gegenteil . . .
Im Römerbrief sind diese drei Kapitel zwischen der dogmatischen Lehre der Kapitel I bis VIII und der moralischen Lehre der Kapitel XIII bis XVI eingebettet. In Kapitel IX präsentiert Paulus das wahre Israel, das spirituelle Israel, welches aus jenen – jüdischen oder nichtjüdischen – Seelen besteht, die durch ihren Glauben an Jesus Christus vor Gott gerechtfertigt sind. Ihm ging lediglich das Israel des Fleisches voraus, dem nur wenige Seelen nichtjüdischer Rasse angehörten. Also seit Moses besass dieser Israel 1.500 Jahre lang das Monopol auf den Tempel, die Priesterschaft und die Opfergaben des Einen Wahren Gottes, doch Gottes letztendliches Ziel bestand darin, die gesamte Menschheit auf den katholischen Tempel, die katholische Priesterschaft und die katholischen Opfergaben vorzubereiten, die mit dem spirituellen Israel, der katholischen Kirche, kommen würden.
In Kapitel X präsentiert St. Paulus das falsche Israel, bestehend aus jenen Juden, die das Evangelium Jesu Christi gehört und verstanden, jedoch zurückgewiesen haben. Sie sind nicht an jenem, der ganzen Menschheit offenstehenden spirituellen Israel interessiert, in dem sie keinen privilegierten und ausschliesslichen Zugang zu der wahren Verehrung des einen wahren Gottes mehr haben werden. So werden sie das Evangelium Jesu Christi zwar hören, aber ablehnen und Ihn stattdessen ans Kreuz schlagen.
In Kapitel XI werden drei Gründe dafür genannt, dass Gottes Vorsehung eine solche Treulosigkeit seitens der Juden erlaubt: Erstens ist sie lediglich teilweiser Art, weil einige Juden im Verlauf der Jahrhunderte die besten der Katholiken sein werden; zweitens wird diese Treulosigkeit nützlich sein, weil sie die Juden eifersüchtig und die Nichtjuden demütig machen wird; und drittens wird diese Treulosigkeit bloss zeitlicher Natur sein, weil die Juden sich vor dem Ende der Welt bekehren werden.
Letzten Endes bedient sich jeder Jude (oder Nichtjude), der Gott verwirft, lediglich seines ihm von Gott verliehenen freien Willens, doch der Heilige Paulus beendet die drei Kapitel mit einer kurzen Hymne an die geheimnisvollen und unergründlichen Wege Gottes.
Kyrie eleison