Benedikts Denken – IV.

Im vierten und letzten Teil unserer Übersicht zur Schrift „Der Glaube, gefährdet durch die Vernunft“ von Bischof Tissier kommen wir zu seinem Gesamturteil über die systematische Uminterpretierung des katholischen Glaubens durch Papst Benedikt XVI., womit er diesen für den modernen Menschen zugänglicher machen will. Verteidiger des Papstes werden dem Bischof nun vorwerfen, daß er nur eine Seite des päpstlichen Denkens darstellt. Allerdings ist diese Seite des Papstes vorhanden und der Bischof tut gut daran, sie ans Licht zu bringen und sie in ihrer Gesamtheit als ein falsches System zu enthüllen. Denn je mehr Wahrheit mit diesem falschen System vermischt wird, desto besser wird es getarnt und desto mehr Schaden kann es bei der Rettung der Seelen anrichten.

Bischof Tissier zeigt im neunten Kapitel seines Traktates, wie der Papst den Inhalt und den Beweggrund des Glaubens der Katholiken ändert. Wahre Katholiken glauben an die von der Kirche definierten Glaubenssätze und akzeptieren sie aufgrund der objektiven Autorität des offenbarenden Gottes. Doch dieses kommt Benedikt als eine zu abstrakte Religion von kalten Definitionen vor, und daher will er eher behaupten: „Der Glaube ist eine Begegnung mit Jesus, der eine Person, die Gegenwart Gottes und eine Präsenz der Liebe ist.“ Ein derart geänderter Glaube mag sich vielleicht wärmer und persönlicher anfühlen. Doch ist er gefährlich, weil er die zweifelhafte Frucht einer persönlichen Erfahrung ist, die auf subjektiven und somit unzuverlässigen Gefühlen basiert. Doch wer würde tatsächlich eine wackelige Brücke in den Himmel vorziehen, nur weil sie sich gut anfühlt?

Im zehnten Kapitel zeigt der Bischof, wie dieses ganze, aus der Änderung erwachsene Glaubenssystem wackelt. Denn Benedikts Rezeptur für einen „gefühlten Katholizismus“ besteht darin, die Dogmen von ihrer belanglosen Vergangenheit zu reinigen, und sie mit einem „tieferen,“ aus der Gegenwart gewonnenen Bewußtsein anzureichern. Der Philosoph Kant, dem Benedikt folgt, ist der Hauptvertreter dieses gegenwärtigen Bewußtseins. Er behauptet, daß Gott nicht bewiesen, sondern nur entsprechend den menschlichen Bedürfnissen postuliert bzw. fabriziert werden kann. Doch wieviele Menschen werden in so einer Wahnwelt, wo subjektive Bedürfnisse die objektiven Wirklichkeiten ersetzen, überhaupt noch Gott postulieren? Es wundert also wenig, daß Kardinal Ratzinger im Jahre 1996 der Kirche eine düstere Zukunft voraussagte.

In seinem Nachwort kommt Bischof Tissier zu dem Schluß, daß die Synthese zwischen Moderne und Katholizismus – die Benedikt subjektiv zur Versöhnung seines katholischen Herzens mit seinem modernistischen Kopf unbedingt braucht – schlicht eine Unmöglichkeit ist. So will der Papst beispielsweise glauben, daß die in jeder modernen Demokratie vergötterten Menschenrechte bloß die Fortsetzung des Christentums seien. In Wahrheit aber tragen diese Menschenrechte in sich das Ende des Christentums, weil sie eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber Gott und eine Befreiung von jeder Einschränkung der gottgegebenen menschlichen Natur bedeuten. Tatsächlich sind diese Menschenrechte sogar eine Atombombe im Krieg des modernen Menschen gegen Gott, ein Grundstein im Gebäude der Neuen Weltordnung.

Der Papst, schreibt Bischof Tissier, darf nicht darauf hoffen, die Welt aufrechterhalten zu können durch eine „gegenseitige Reinigung und Erneuerung“ von Religion und Vernunft, die sich „gegenseitig bereichern“ sollen. Die säkularisierte Vernunft kann der Religion wenig bis gar nichts bieten. Jeder Versuch der katholischen Theologen, mit dieser säkularisierten Vernunft gut auszukommen, fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen – genauso wie die „Neue Weltordnung,“ welcher solche Theologen zu dienen hoffen. Das letzte Wort überläßt der Bischof dann dem Heiligen Paulus: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, das ist Jesus Christus.“ (Erster Brief an die Korinther 3,11)

Das Traktat von Bischof Tissier war in Französisch verfügbar, soll aber vergriffen sein. Englische und italienische Übersetzungen sind im Internet zugänglich.

Kyrie eleison.