Unvorstellbar Krank

Im Jahre 1976 erlebte die Priesterbruderschaft St. Pius X. ihren „heißen Sommer,“ als Papst Paul VI. Erzbischof Lefebvre „suspendierte,“ weil er 14 Priester für die Tradition geweiht hatte. Dieser Zusammenprall zwischen Rom und der katholischen Tradition war so heftig, daß der Erzbischof einen seiner wenigen Momente erlebte, in welchen er ernsthaft erwägte, ob der Stuhl Petri unbesetzt (vakant) sein konnte. Wie wir anhand von Tonaufnahmen seiner Worte hören, quälte ihn dieser Zusammenprall sehr, unter dem Motto: wie um Himmels Willen kann ein Stellvertreter Christi so die Kirche zerstören? Auf die sedisvakantistische Lösung legte der Erzbischof nie endgültig sich fest. Doch möchten wir jetzt betrachten, wie deutlich er das Problem erfaßte, und sodann noch einmal eine Lösungsmöglichkeit vorschlagen – für eine Situation, welche der Erzbischof vielleicht nicht sich vorstellen konnte, weil sein Verstand noch „zu“ gesund war. Zuerst die Zusammenfassung seiner Worte vom August 1976:—

Die Menschen fragen mich, was ich von Papst Paul VI. halte. Ihn umgibt ein unfaßbares Geheimnis. Der wahre Papst stellt die Einheit der Kirche sicher, inspiriert vom Hl. Geist und geschützt vom Versprechen unseres Herrn bezüglich der Aufrechterhaltung des Glaubens. Doch in der schweren Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zerstört Paul VI. systematisch die Kirche. Nichts wird verschont: weder der Katechismus, noch die Universitäten, Seminare und Schulen. Alles Katholische wird zerstört. Man sucht eine Lösung.

Einige offensichtlich falsche Lösungen können wir gleich verwerfen, z.B. daß Paul VI. ein Gefangener oder Opfer seiner Untergebenen sei, unter Drogen stehe, usw. Als er die Charismatiker segnete oder den Fuß des orthodoxen Patriarchen küßte, wurde er da mit einem vorgehaltenen Revolver bedroht? Ich habe ihn bei öffentlichen Audienzen beobachtet, wie er gekonnt, geistesgegenwärtig, mit Angemessenheit und der Intelligenz eines Mannes sprach, welcher im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Kardinal Benelli sagte zu mir, daß der Papst selber diese Briefe an mich schrieb, wo er die Tradition zerschmettert, daß er voll informiert ist und genau weiß, was er tut, daß dies sein Wille ist und seine Entscheidungen sind. Der Kardinal sagte, daß er täglich dem Papst Meldung machte und auch direkt nach unserer Unterhaltung wieder Meldung machen würde.

Kann Paul VI. somit kein echter Papst sein? Das ist eine mögliche Hypothese. Theologen haben diese Frage studiert. Ich weiß es nicht, und man lege mir keine Worte in den Mund. Jedoch scheint die Frage theologisch unlösbar zu sein.

So sprach der Erzbischof über Paul VI., jedoch gilt grundsätzlich das gleiche Problem für alle sechs Konzilspäpste (vielleicht mit Ausnahme von Johannes Paul I.). Teilen wir das Problem in zwei Abschnitte auf: a) Wie kann der wahre Gott so eine Zerstörung seiner Kirche zulassen? b) Wie können seine wahren Stellvertreter oder Vikare die Hauptzerstörer sein?

Zu a) Erstens wird die Zerstörung am Ende der Welt noch größer sein (Lukas 18,8). Zweitens könnte Gott seine Kirche durchaus reinigen, um den Triumph des Unbefleckten Herzens seiner Mutter vorzubereiten. Drittens bewahrte Gott Paul VI. davor, die Kirche vollständig zu zerstören; beispielsweise als Paul VI. „zufällig“ den Plan zur Auflösung des Papstamtes im Konzilstext Lumen Gentium entdeckte und dann durch Hinzufügen des Textes Nota Praevia diesen Plan blockierte.

Zu b) Die folgende Lösung hatte Erzbischof Lefebvre nie in Betracht gezogen, was erklären könnte, warum im August 1976 selbst er beinahe von den Hörnern des Dilemmas Sediskvakantismus-oder-Liberalismus aufgespießt zu werden schien. Wenn der Liberalismus Jahr für Jahr erfolgreicher damit ist, den Verstand jedes Erdenmenschen stärker zu verwirren, warum sollten dann Päpste von dieser universellen Krankheit, „ehrlicherweise“ falschzuliegen, ausgespart bleiben? Weil die Päpste gebildete Männer sind? Dabei herrscht doch der Liberalismus gerade in den Schulen und Universitäten. Wenn also die irrig-gebildeten Päpste „ehrlicherweise“ davon überzeugt sind, daß die „Wahrheit“ sich entwickle, dann würden sie nicht einmal mit ihren schweren Irrtümern jene katholischen Wahrheiten hartnäckig leugnen, wovon sie wißen, daß sie definiert sind, weil selbst die definierte Wahrheit, wenn es sich nach ihrer Überzeugung denn um eine „Wahrheit“ handele, sich entwickeln muß, und zwar in Richtung Konzilspäpste.

Kyrie eleison.