„Prometheus“ – Neumensch

„Prometheus“ – Neumensch on Juni 22, 2019

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In seinem Buch „Prometheus, die Religion des Menschen“ vertritt Pater Alvaro Calderón die These, Vatikan II sei seinem Wesen nach ein Humanismus, der von Kirchenvertretern als Katholizismus getarnt worden sei. Diese Tarnung verlieh dem Humanismus beispiellose Autorität, und zu seiner Fabrikation bedurfte es beispielloser Raffinesse. Der Humanismus entstand im 14. Jahrhundert zur Verteidigung rein menschlicher Werte gegen die angeblich unmenschlichen Forderungen des katholischen Mittelalters nach Armut, Keuschheit und Gehorsam, aber auch gegen die Autorität der Kirche, welche die Menschen vorgeblich wie Kinder behandelte.

Um der Verteidigung der Menschenwürde willen schwang sich der Humanismus also zum Fürsprecher der menschlichen Freiheit auf, und gab im 17. und 18. Jahrhundert den Anstoss zur Geburt des Liberalismus, sowie im 20. und 21. Jahrhundert zur Entstehung des Superliberalismus. Der falschen Freiheit dieses Superliberalismus will Vatikan II die wahre Kirche Gottes anpassen. Somit will das Konzil den Geist des Menschen durch den Subjektivismus „befreien,“ seinen Willen durch das „Gewissen“ und seine Natur dadurch, dass die Gnade ihm dient, statt ihn zu erheben. Unter Subjektivismus versteht man den Irrtum, die Wahrheit unabhängig vom Objekt und stattdessen abhängig vom menschlichen Subjekt zu machen. Letzten Endes endet dies in reinem Irrsinn, was Vatikan II zu vermeiden trachtete, doch wollte er ein genügend grosses Mass an Subjektivismus, um Gedankenfreiheit zu garantieren. So griff er zur Formel von der „Unzulänglichkeit des Dogmas.“

Nun ist es wahr, dass keine menschlichen Worte die ganze Fülle der göttlichen Realitäten schildern oder ausdrücken können, aber Worte können sehr wohl etwas ausdrücken; beispielsweise ist „Gott existiert“ wahr, während „Gott existiert nicht“ falsch ist. Somit sind Worte durchaus nicht gänzlich ungeeignet zum Ausdrücken von Dogmen; glaube ich an eine Reihe von in Worte gefassten Dogmen, wie es die Kirche von einem Katholiken verlangt, so kann ich in der Tat meine Seele retten. Doch Vatikan II (Dei Verbum) sagt, Gott offenbare Sich selbst aber nicht in Form einer in Worte gekleideten Doktrin, und Er Selbst werde durch subjektive Erfahrung und nicht durch objektive Worte erkannt. Unter diesen Umständen können Doktrinen kommen und gehen, ohne die hinter ihnen stehenden Realitäten zu berühren, so dass Vatikan II die Dogmen ändern kann, angeblich ohne von der Wahrheit oder von der Tradition abzuweichen! Dies bedeutet, dass sämtliche Spielarten der Theologie und sämtliche Arten von Religionen legitim sind! Dieser Logik zufolge ist die Überlegenheit des Christentums lediglich kultureller Art.

Wie befreit Vatikan II also den Willen? Er ist bereits befreit. Wenn es keine Wahrheit oder Lüge mehr gibt, ist es wahr und falsch zugleich, dass Stehlen und Lügen schlecht sind. In letzter Konsequenz endet diese Position abermals in reinem Wahnsinn – wie kann Vatikan II dann Geistesfreiheit predigen und die Auflösung jeglicher Moral dennoch vermeiden? Durch das „Gewissen“! Im Herzen jedes Menschen spricht Gott – ohne Worte – durch eine moralische Neigung zum Guten und eine Abneigung gegenüber dem Bösen auf eine Weise, die sich durch keinerlei Worte angemessen ausdrücken lässt, deren Substanz jedoch durch alle Zeiten hindurch unverändert bleibt. Angesichts dieses Umstands wird mein Wille nicht durch die ausserhalb meiner selbst stehenden Zehn Gebote gebändigt, sondern ich werde aus meinem Inneren heraus frei das Gute wählen und somit frei bleiben, zu tun, was richtig ist. Aber halt – werde ich dies wirklich? Was ist eigentlich mit der Erbsünde? In Wirklichkeit ist Moral objektiv; sie ist rational und kann, ja muss in allgemein gültigen Regeln ausgedrückt werden. Ein rein subjektives „Gewissen“ ist viel zu schwach, um der Erbsünde standzuhalten.

Noch ein weiterer Punkt: Wie kann Vatikan II Gottes Gnade der menschlichen Natur unter- statt über-ordnen? „Die Gnade vervollkommnet die Natur“ ist ein immerwährendes katholisches Prinzip; somit vervollkommnet die Gnade den Menschen, indem sie sein höchstes Gut, die Freiheit, wiederherstellt, die durch die Sünde versklavt wird. Die Gnade Christi befreit die Natur des Menschen also; sie dient ihr und offenbart den Menschen hierdurch sich selbst (Gaudium et Spes,#24), durch die Inkarnation. Doch hat die Inkarnation nicht zuerst Gott dem Menschen offenbart?

Kurzum, Pater Calderón zeigt, wie Vatikan II, seinem Wesen nach humanistisch, den Humanismus mit katholischem Schmuckwerk verschönert: Freiheit, ja, aber in Gottes Ebenbild! Subjektivismus ja, aber durch innere Wahrheit, einschliesslich des Mysteriums Gottes, welches das eigene Mysterium des Menschen enthüllt! Gewissen, ja, aber durch natürliche Teilhabe am Ewigen Recht, so dass die Menschen dieses auf natürliche Weise erfüllen, und Gottes Wille somit zwangsläufig mit dem des Menschen zusammenfallen muss! Gnade, ja, aber mittels Vervollkommnung der menschlichen Natur durch seine Befreiung von der Sklaverei der Sünde! Wie viel schöner machen der Reichtum und das Erbe der Kirche den Humanismus also!

Kyrie eleison.