Des Erzbischofs Autorität – I
Des Erzbischofs Autorität – I on Februar 15, 2020
Veranschaulichen wir das Verhältnis zwischen der katholischen Wahrheit und der katholischen Autorität anhand des Athanasius der Neuzeit, den Gott uns schenkte, um uns den Weg durch unsere vorapokalyptische Krise zu weisen: Erzbischof Lefebvre (1905–1991). Während sich die grosse Mehrheit der Kirchenführer bei Vatikan II dazu verleite liess, die Natur des Glaubens zu ändern und einige Jahre später im Namen des Gehorsams gegenüber der Autorität den wahren Ritus der Messe aufzugeben, blieb der Erzbischof kraft seines Glaubens der unveränderlichen Wahrheit der Kirche treu und zeigte, dass diese das Herz und die Seele ihrer göttlichen Autorität darstellt. „Der Gehorsam ist nicht der Diener des Gehorsams,“ lautet ein spanisches Sprichwort.
Sicherlich glaubte der Erzbischof an die Autorität der Kirche, ihren Mitgliedern aller Stufen Weisungen zur Rettung ihrer Seelen zu erteilen. Deshalb war er während der ersten Jahre der Existenz der Priesterbruderschaft St. Pius X. (1970–1974) sorgfältig darauf bedacht, dem kanonischen Recht und dem Papst, Paul VI., zu gehorchen, soweit er hierzu in der Lage war. Doch als Kirchenvertreter, die von Rom entsandt worden waren, um sein Seminar in Écône zu inspizieren, sich in ihren Aussagen gegenüber Seminaristen weit von der katholischen Wahrheit entfernten, schrieb er seine berühmte Erklärung vom November 1974, in der er sich gegen Roms Abkehr vom katholischen Glauben zugunsten der neuen Konzilsreligion verwahrte. Diese Erklärung diente der traditionalistischen Bewegung, deren Geburtsstunde man auf die Messe von Lille vom Sommer 1976 datieren kann, gewissermassen als Charta.
Zwar hat der Erzbischof selbst stets resolut dementiert, der Führer der Tradition zu sein, weil die katholische Tradition bis zum heutigen Tage eine inoffizielle Bewegung ist und keinerlei offizielle Struktur besitzt. Zudem war er unter den Traditionalisten durchaus nicht die einzige Führungspersönlichkeit, und nicht alle von ihnen pflichteten ihm bei oder huldigten ihm. Nichtsdestoweniger sahen sehr viele Katholiken in ihm ihren Führer, vertrauten und folgten ihm. Warum? Weil sie in ihm die Fortsetzung des katholischen Glaubens sahen, durch den allein sie ihre Seelen retten konnten. In anderen Worten: Auch wenn der Erzbischof keine offizielle Autorität über sie hatte, weil die Jurisdiktion das Vorrecht regulär gewählter oder ernannter offizieller Kirchenvertreter ist, erwarb er dank seiner Treue gegenüber dem wahren Glauben bis zu seinem Tod eine enorme moralische Autorität. Anders gesagt: Seine Wahrheit legte den Grundstein für seine Autorität, die zwar inoffiziell, aber real war, während der Mangel an Wahrheit, an dem die offiziellen Kirchenvertreter krankten und kranken, ihre Autorität seither unablässig untergräbt. Dass die Autorität, zumindest die katholische Autorität, von der Wahrheit abhängt, lag klar zutage.
Hinsichtlich der anno 1970 vom Erzbischof gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X. standen die Dinge jedoch etwas anders, weil ihm die offizielle Kirche eine gewisse Jurisdiktion auf dem Gebiet der – Bischof Charrière unterstehenden – Diözese Genf/Lausanne/Freiburg gewährte. Diese Jurisdiktion bedeutete ihm sehr viel, bewies sie doch, dass er mit seinem Wirken keine imaginären Probleme beschwor, sondern das Werk der Kirche verrichtete. So tat er sein Bestes, um die Bruderschaft zu leiten, als sei er das normale Oberhaupt einer normalen katholischen Kongregation unter Rom, wozu ihm seine Verteidigung des wahren Glaubens alles Recht gab. Allerdings machten die öffentlichen und offiziellen Römer weidlich von ihrer Jurisdiktion Gebrauch, um ihn als Scharlatan anzuprangern und so die katholischen Massen, die ihm sonst gefolgt wären, gegen ihn aufzubringen.
Doch nicht genug damit – die Neukirche, welche die Konzilsrömer um ihn herum aufbauten, bedeutete, dass seine Autorität selbst innerhalb der Bruderschaft ernstlich geschwächt wurde. Wenn beispielsweise vor dem Konzil ein mit dem Bischof seiner Diözese unzufriedener Priester seine Versetzung in eine andere Diözese beantragte, erkundigte sich der Bischof letzterer selbstverständlich beim Bischof ersterer nach dem betreffenden Geistlichen, und wenn der erste Bischof dem zweite riet, sich nicht mit diesem inzulassen, war der Antrag chancenlos. Stellte hingegen ein Priester, der zwar der Bruderschaft angehörte, aber mit dieser unzufrieden war, den Antrag, in eine Diözese der Neukirche versetzt zu werden, durfte er damit rechnen, dass ihn diese als Flüchtling vor dem „Lefebvre-Schisma“ mit offenen Armen in der offiziellen Gemeinde willkommen liess. Der Erzbischof erhielt von den anderen Bischöfen also keine Unterstützung und konnte seine Priester innerhalb der Bruderschaft folglich nicht gebührend disziplinieren. Seine Autorität war in höchstem Masse verwundbar, weil ihm keinerlei Sanktionen zur Verfügung standen, mit denen er wankelmütige Priester im Zaun halten konnte. Der Mangel an Wahrheit in der Neukirche hat die Wahrheit in die Bruderschaft verbannt, doch ohne jene katholische Autorität, die zu ihrem Schutze erforderlich ist.
Kyrie eleison.