Innerliche Höhle
Innerliche Höhle on Oktober 23, 2010
Als ich vor kurzem in der römischen Provinz die Höhle des Hl. Benedikt in Subiaco besuchte, kam mir ein lateinischer Paarreim in den Sinn, welcher gleich vier Gründer von großen religiösen Orden in der Kirche behandelt. Die zwei Zeilen decken einerseits drei Viertel der gesamten Kirchengeschichte ab und deuten andererseits an, warum so viele katholische Seelen den Eindruck haben, ihr Glaube hänge heute nur noch an einem seidenen Faden.
Die Zeilen lauten:
Bernardus valles, colles Benedictus amabat,
Oppida Franciscus, magnas Ignatius urbes.
Auf deutsch:
Bernhard liebte die Täler, und Benedikt die Hügel,
Franziskus die Dörfer, und Ignatius die Großstädte.
Ordnen wir die durch das lateinische Versmaß ein bißchen verstellte Reihenfolge chronologisch an: Der Hl. Benedikt (480–547) suchte Gott in den Bergen (Subiaco, Monte Cassino); die vom Hl. Bernhard (1090–1153) belebten Zisterzienser kamen in die Täler herunter (insbesondere bei Clairvaux); der Hl. Franziskus wirkte inmitten der kleineren Städte seiner Zeit, während die Jesuiten des Hl. Ignatius (1491–1556) das Apostolat für die moderne Stadt neu formten. In gewisser Weise rächte sich die moderne Stadt an ihnen, indem die Jesuiten mit den Dominikanern den Kirchenzusammenbruch durch das Vatikanum II. anführten (z.B. de Lubac und Rahner, S.J.; Congar und Schillebeeckx, O.P).
Denn ist nicht bereits die Bewegung von den Hügeln hin zu den Städten eine Abwendung vom Alleinsein mit Gott hin zum Dasein nur mit den Menschen? Die Industrialisierung und das Automobil machen die moderne Stadt mit ihrem weichen Leben erst möglich; doch gleichzeitig erzeugen sie dadurch ein Alltagsumfeld, das immer künstlicher und somit abgeschnittener von der Natur Gottes wird. Mit dem materiellen Wohlstand wachsen die geistlichen Schwierigkeiten. In Wirklichkeit wird das Großstadtleben inzwischen so unmenschlich, daß der liberale Todeswunsch jeden Augenblick den Dritten Weltkrieg auslösen könnte, welcher das uns bekannte städtische und vorstädtische Leben umstürzen wird. Wie also kann ein Katholik, der aus vielen Gründen nicht zu den Bergen Zuflucht nehmen kann, außer Reichweite von psychiatrischen Anstalten bleiben?
Es gibt eine logische Antwort: Der Katholik muß in sich selbst, in einer Art innerlicher Höhle, mit Gott leben, während der Weltwahn draußen vorbeirast. Der Katholik muß sein Herz in eine Einsiedlerklause umformen und mindestens sein Heim, wenn möglich, in eine Art Heiligtum verwandeln – unter Wahrung der natürlichen Familienbedürfnisse. Das bedeutet nicht, in einer unwirklichen Eigenbrödlerwelt zu leben, sondern in der realen inneren Welt mit Gott, im Gegensatz zur äußeren Wahnwelt des Teufels, die uns von allen Seiten bedrängt.
Auf ähnliche Weise hat die Neukirche seit dem Zweiten Vatikanum zahllose Klöster und Ordenshäuser geschlossen, womit weniger Raum für Seelen bleibt, die einen inneren Ruf Gottes zu hören vermeinen. Führt Er sie in eine Sackgasse, oder hat Er sie im Stich gelassen? Oder beruft Er sie nicht eher dazu, ein inneres religiöses Leben zu führen, ihre Zwergwohnung inmitten der Riesenstadt in eine Einsiedelei zu verwandeln und aus ihrem gottlosen Bürogebäude ein Feld des Apostolates zu machen, mittels Gebet, Nächstenliebe und gutem Beispiel? Unsere Welt braucht dringend katholische Seelen, die ihren inneren Frieden und ihre innere Stille mit Gott nach außen strahlen.
Kyrie eleison.