“Offizielle Kirche”?
Man muss beim Gebrauch von Wörtern sehr vorsichtig sein, denn Wörter sind der Griff, mit dem unser Geist die Dinge begreift, und die Dinge sind der Stoff unseres täglichen Lebens. Deshalb hängt unsere Lebensweise von Wörtern ab. In der Vorzeige-Gemeindekirche der Priesterbruderschaft St. Pius X. in Paris, Frankreich, wirkt ein Priester, der für den richtigen Gebrauch der Wörter sorgt. Pater Gabriel Billecocq schrieb in der Dezemberausgabe 2017 (Nr. 333) von Le Chardonnet, der Monatszeitschrift der Gemeinde, einen Artikel mit dem Titel „Haben Sie ‚offizielle Kirche’ gesagt?.“ Darin erwähnt er mit keinem einzigen Wort das Hauptquartier der Piusbruderschaft in Menzingen, Schweiz, klagt jedoch über den von irgendwelchen – vermutlich hochgestellten – Leuten geäusserten „Wunsch,“ das Wort „Konzilskirche“ stets durch „offizielle Kirche“ zu ersetzen. Und seine Klage ist berechtigt, denn das Wort „Konzilskirche“ ist vollkommen klar, während „offizielle Kirche“ durchaus nicht klar, sondern zweideutig ist.
Einerseits ist mit „Konzilskirche“ eindeutig jener grosse Teil der heutigen Kirche gemeint, der in mehr oder weniger starkem Umfang durch die Irrtümer des Zweiten Vatikanischen Konzils vergiftet ist (diese Irrtümer bestehen im Wesentlichen darin, dass die Kirche, die auf Gott ausgerichtet sein sollte, neu auf den Menschen ausgerichtet wurde). Andererseits besitzt der Ausdruck „offizielle Kirche“ zwei mögliche Bedeutungen. Entweder kann er sich auf die Kirche beziehen, die offiziell von Christus begründet und uns offiziell all die Jahrhunderte hindurch von einer langen Reihe von Päpsten vermittelt wurde – und gegen eine so definierte „offizielle Kirche“ kann kein Katholik etwas einwenden, ganz im Gegenteil. Oder aber der Begriff „offizielle Kirche“ wird für die Masse der Vatikan II ergebenen kirchlichen Würdenträger verwendet, die seit einem halben Jahrhundert ihre offizielle Macht in Rom ausgenutzt haben, um den Katholiken die Irrtümer des Konzils aufzudrängen, und gegen diese „offizielle Kirche“ muss ein Katholik zwangsläufig Einwände erheben. Somit bedeutet „Konzilskirche“ etwas zwangsläufig Schlechtes, während „offizielle Kirche“ je nachdem, welche der beiden möglichen Bedeutungen man dem Begriff gibt, etwas Gutes oder etwas Schlechtes bedeuten kann. Den Begriff „Konzilskirche“ durch „offizielle Kirche“ zu ersetzen, heisst somit Klarheit durch Verwirrung zu ersetzen, und ausserdem hindert diese Wortwahl Katholiken daran, Vatikan II mit der gebotenen Deutlichkeit als Verhängnis zu bezeichnen.
Pater Billecocq behauptet mit keinem Wort, das Hauptquartier der Piusbruderschaft „wünsche“ die Einführung dieser neuen Bezeichnung, doch eine ganz bestimmte Tatsache sowie eine Spekulation weisen darauf hin. Die Tatsache besteht darin, dass der französische Distriktobere, Pater Christian Bouchacourt, als er zu Beginn dieses Monats in einem Interview nach der für kommenden Juli anberaumten Wahl des Generaloberen der Piusbruderschaft gefragt wurde, hierzu festhielt: „Sobald ein Generaloberer gewählt ist, wird der Vatikan unverzüglich über den Entscheid in Kenntnis gesetzt.“ In der Vergangenheit ist es niemals geschehen, dass der Vatikan von der Bruderschaft über Wahlen innerhalb derselben informiert wurde. Allem Anschein nach rechnen die gegenwärtigen Führer der Bruderschaft optimistisch damit, dass Rom nicht nur sofort über das Wahlergebnis ins Bild gesetzt werden, sondern diesem auch seine offizielle Zustimmung erteilen wird – denn weshalb sollte man Rom informieren, wenn nicht, um seine Billigung zu erlangen? Worum wird die Neubruderschaft die Neukirche wohl sonst noch betteln? Worum wird sie nicht betteln? Wie tief ist die Bruderschaft doch seit den Tagen gesunken, als Erzbischof Lefebvres Glaube Rom zwang, selbst als Bettler aufzutreten!
Was die Spekulation betrifft, so hören wir, dass Menzingen zwei Hauptkandidaten für das Amt des Generaloberen vorbereitet, zwischen denen sich die Wähler im Juli entscheiden können; die Position wird nämlich nicht mehr von einem Bischof bekleidet werden. Man darf vermuten, dass Rom bereits eine virtuelle Kontrolle über die zentralen Entscheidungen ausübt, die im Hauptquartier der Bruderschaft gefällt werden. In diesem Fall braucht Rom kaum zu befürchten, dass einer dieser beiden Kandidaten vom romfreundlichen Kurs Bischof Fellays abweichen wird; andererseits hat es vielleicht viel zu gewinnen, wenn an der Spitze der Bruderschaft zumindest dem Anschein nach ein Wechsel erfolgt. Und es wird ihm möglicherweise gelingen, Bischof Fellay in Rom vor seinen Karren zu spannen, indem es ihn zum Oberhaupt einer „erneuerten“ Ecclesia Dei -Kongregation ernennt, die sämtliche traditionalistischen Gemeinden einschliesst, darunter die Bruderschaft, die er einst führte.
Wer kann bezweifeln, dass die Römer geschickt genug sein werden, sämtliche Konstellationen zu ihrem Vorteil zu nutzen? Es sei denn . . . es sei denn, in der Bruderschaft blühen abermals jener Glaube und jene Wahrheit auf, welche die treibende Kraft Erzbischof Lefebvres waren, und ihm den Sieg über alle Liberalen und Modernisten in Rom verliehen. Diese Dämonen sind bestrebt, Gottes katholische Tradition ein für alle Male auszulöschen, weil sie das ernsthafteste potentielle Hindernis für ihre neue Einweltreligion darstellt. Und es mag sein, dass Gott nichts weniger als das Blut katholischer Märtyrer verlangen wird, um ihnen Einhalt zu gebieten. Die aus den Reihen der Piusbruderschaft als Märtyrer hervorgehenden Priester und Laien werden dann deren Ruhm sein.
Kyrie eleison.