Am 24. September, also vor zwei Tagen, wurden die sterblichen Überreste von Erzbischof Lefebvre aus dem Grabgewölbe beim Seminar von Écône, wo sie seit seinem Tod im Jahre 1991 bestattet gewesen waren, in einen grossartigen Sarkophag in der Krypta unter der Seminarkapelle überführt, die eigens als ihre letzte Ruhestätte vorbereitet worden war. Dem Erzbischof, diesem grössten Gottesmann und grössten katholischen Glaubenshelden der Neuzeit, ein so majestätisches Grab zu errichten, war nur recht und billig. Schliesslich hat er fast allein die katholische Doktrin, die katholischen Sakramente und die katholische Priesterschaft von ihrer Korruption und Zerstörung durch moderne Menschen gerettet, die an sie nicht mehr so glaubten, wenigstens so, wie sie von der treuen katholischen Kirche fast zweitausend Jahre lang bewahrt und weitergegeben worden waren.
Und man darf sagen, dass nach Erzbischof Lefebvres Tod seine Nachfolger sein Werk mehr oder weniger getreulich weitere 20 Jahre lang weitergeführt haben, doch dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. anno 2012 einen Kurswechsel vollzog, der viele Seelen dazu bewog, von einer Neubruderschaft zu reden, ungefähr so wie die Veränderungen in der Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) zahlreiche Katholiken dazu bewogen haben, von einer Neukirche zu sprechen, so radikal waren diese Veränderungen. Leider spiegelte die Zeremonie der Umbettung der sterblichen Überreste des Erzbischofs diese Übergabe seines Werks von der Bruderschaft ab die Neubruderschaft wider, weil sie nicht vom gegenwärtigen Generaloberen Pater David Pagliarini vollzogen wurde, sondern von seinem Vorgänger, jenem Mann also, der die Hauptverantwortung für den Übergang von der Bruderschaft zur Neubruderschaft trägt. Dass Pater Pagliarinis Vorgänger die Aufgabe anvertraut wurde, eine dermassen herausragende Zeremonie zu Ehren des Gründers der Bruderschaft zu leiten, ist weder ein gutes Omen noch ein Zufall. Es erinnert uns an folgenden Ausspruch unseres Herrn (Matthäus 23; 29–30)):
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und schmückt die Gräber der Gerechten und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten!
Es mag sehr wohl so sein, dass die weltweite Heuchelei einer Welt, die Unseren Herrn von sich weist, heute dermassen tief verwurzelt ist, dass viele Seelen, die vor zwei Tagen an der Zeremonie teilnahmen, durchaus keine bewussten Heuchler waren – Gott allein weiss es – und nicht so hart zu verurteilen sind wie Unser Herr jene verurteilte, von denen Er wusste, dass sie drauf und dran waren, Ihn zu kreuzigen. Denn des Erzbischofs Nachfolger, welche seine Bruderschaft auf Abwege führten, waren wahrhaft sehr geschickt bei der Täuschung vieler Katholiken, die dem Erzbischof in seinem”Ungehorsam”gegenüber den herrschenden Führern der Kirche getreulich gefolgt waren. Nichtsdestoweniger ist die Parallele, objektiv gesprochen, eindeutig.
Die Pharisäer errichteten Denkmäler zu Ehren der Propheten, die sie, wären sie deren Zeitgenossen gewesen, getötet hätten. Die Neubruderschaft errichtete einen Sarkophag zu Ehren ihres Begründers, während sie selbst Freundschaft mit den Pachamama-Verehrern schloss, die er selber schon damals verabscheute.
Den Pharisäern versprach Unser Herr, Boten zu entsenden, um ihre Untreue anzuprangern, doch diese töteten die Boten gleichfalls. Der Neukirche und der Neubruderschaft sendet er einen Erzbischof Viganò, um sie an ihre Untreue zu erinnern. Die Neukirche würde ihn am liebsten töten. Die Neubruderschaft ignoriert ihn nach Kräften.
Die Pharisäer wurden von Unserem Herrn vor den schwerwiegenden Folgen ihrer Untreue gewarnt. In der Tat wurde Jerusalem im Jahre 70 in Grund und Boden zerstört. Was die Neubruderschaft betrifft, so hat diese des Erzbischofs Werk so nachhaltig untergraben, dass es seine Wirkung nicht mehr entfalten kann: Schliesslich kann das von ihm geflochtene weltweite Netzwerk des Glaubens kaum ohne neue Bischöfe überleben, um diesen Glauben aufrechtzuerhalten, aber mit ihrer Weigerung, neue Bischöfe ohne die Genehmigung der Pachamamisten zu weihen, blockiert die Neubruderschaft die Weihung von Bischöfen, die den Glauben Erzbischof Lefevbres am Leben halten und weitergeben würden, denn solche Bischöfe werden bei den Pachamamisten nie und nimmer Gnade finden.
Kurzum, die Mitglieder der Neubruderschaft haben es zugelassen, dass Pater Pagliarinis Vorgänger die Verherrlichung des Begründers der Bruderschaft leitete, obwohl sich dieser Vorgänger schlauer denn jeder andere bemüht hat, das Werk des Erzbischofs zu begraben. Sind sich diese Prieter bewusst, dass sie riskieren, der Wandlung eines Werks für Helden in ein Laufgitter für Neupharisäer beizutragen?
Mit Gewissheit erfleht die Nächstenliebe für den neuen Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X., Gott möge ihm die Einsicht und die Kraft schenken, die Bruderschaft wieder auf den von Erzbischof Lefebvre für ihr Wohl – und für jenes der Gesamtkirche – vorgegebenen Kurs zu bringen. Realistisch gesehen, hat Pater Pagliarani vielleicht nicht einmal den Wunsch, derartiges in Angriff zu nehmen. Menschlich gesehen, gibt es sichere Anzeichen dafür, dass er sich auf der gleichen Wellenlänge wie Bischof Fellay befindet, und dass seine Wahl zum Generaloberen der gemeinsame von Rom und Bischof Fellay geschmiedete Plan B für das Kapitel war, sollte Bischof Fellay nicht mehr gewählt werden. Es hiesse: Wenn P. Pagliarani die Interessen von Bischof Fellay wahrnähme, würde Bischof Fellay im Bedarfsfall dessen Kandidatur zum Generaloberen fördern. Es folgen nun einige Indizien dafür, dass die beiden sich verschworen haben, die traditionskatholische Priesterbruderschaft unter die Fittiche des Konzilsrom zu bugsieren –
* Vom Zwischenkapitel 2012 (auf dem keine Wahlen vorgesehen waren) wurde berichtet, dass es Pater Pagliarani war, der Bischof Fellay vor vernichtenden Argumenten beschützte, die dem Kapitel für die Absetzung und Auswechslung von Bischof Fellay als Generaloberer vorgelegt wurden. Pater Pagliarani bat das Kapitel, es möge doch dem Oberen keinen Schlag ins Gesicht versetzen – und das schwache Kapitel ging direkt zu anderen Angelegenheiten über.
* Schon bald nach diesem Interimskapitel wurde Pater Pagliarani von Bischof Fellay befördert – belohnt? – mit dem ehrvollen Posten als Regens am Priesterseminar der Bruderschaft für Lateinamerika in La Reja, Argentinien. Dort hätte Pater Pagliarani jeden kritisiert, der die Notwendigkeit eines Abkommens zwischen der Bruderschaft und Rom nicht verstand – Bischof Fellays ureigene Politik.
* Wir dürfen hoffen, eines Tages genau zu erfahren, wie es dazu kam, dass die beiden „Berater“ in den Generalrat der Bruderschaft aufgenommen wurden, und Bischof Fellay damit wieder dem Machtzirkel innerhalb der Bruderschaft beigeordnet wurde, von dessen Thron er just einige Tage zuvor verjagt worden war. Ist es wirklich vorstellbar, dass die allzu fügsamen und respektvollen Kapitulanten für einen solchen Schachzug gestimmt hätten, wenn der neue Generalobere selbst ihn nicht gutgeheissen, oder sogar selber vorgeschlagen hätte?
Solche Fragen bleiben Spekulationen, bis die Fakten offengelegt werden. Aber sie sind keine leeren Spekulationen, denn vom Kurs der Bruderschaft hängt viel in der Universalkirche in den nächsten Jahren ab. Wird die Bruderschaft wieder zum zentralen Bollwerk des Widerstands gegen die konziliare Apostasie, welche verheerenden Schaden und Verwüstung in der Kirche anrichtet? Oder wird sie sich dieser Strömung des Glaubensabfalls anschließen? Innerhalb der Amtskirche war die Bruderschaft im Vergleich mit allen anderen Institutionen, die zusammen die Universalkirche bilden, zahlenmäßig immer unbedeutend. Doch machte die einzigartige Glaubenstreue der Priesterbruderschaft gegenüber der katholischen Lehre und den Sakramenten aller Zeiten, die von den höchsten kirchlichen Amtsträgern aufgegeben oder pervertiert wurden, eben diese Bruderschaft zu einer Kraft, mit der man rechnen musste. Der Einsatz des Erzbischofs für die Wahrheit machte, dass er nicht zu besiegen war. Die Konzilspäpste konnten ihn weder verschlingen noch ausspucken. Bischof Fellay hingegen haben sie längst aufgefressen und hinuntergeschluckt.
Die Zeit wird zeigen, wie Pater Pagliarani mit seiner gewaltigen Verantwortung umgehen wird. In der Zwischenzeit beten wir für ihn, ohne dabei zu viele menschliche Hoffnung zu haben. Das Risiko ist allzu groß, dass die Verantwortlichen der Bruderschaft dem Rest der Weltführer folgen und die Bruderschaft in ein „getürktes Videospiel“ verwandeln, wie jemand die Welt von heute so treffend bezeichnete. Um die Menschheit zu bestrafen, die Gott in allen Bereichen verrät, gibt Er Seinen Feinden die Macht, auch noch die letzten Überreste Christi und der christlichen Zivilisation auszurotten. Wie auch immer: Zumindest für eine Weile müssen der Schein Christi und Seiner Kirche gewahrt bleiben. So merken jene Menschen, die nach und nach um das Christentum gebracht werden, nicht einmal diesen Verlust. Deshalb dieses realitätsfreie Videospiel hinter dem hohlen Schein. Deshalb dieses Türken von Wahlen und Kapiteln: Um eine Neue Weltordnung ohne Christus oder Gott hervorzubringen.
Ach weh’, diese armen Feinde. Gott existiert, und Er wird zuschlagen!
Kyrie eleison.
Wenn die Katholische Wahrheit und das Katholische Lehramt auseinanderdriften, wie im Zweiten Vatikanischen Konzil geschehen, kann es nicht die Wahrheit sein, die sich bewegte, denn die Katholische Lehre ändert sich nicht. Es kann sich nur um das Lehramt handeln, das sich verschoben hat, und deshalb können allein die Kirchlichen Ämter für die Trennung verantwortlich gemacht werden. Umso mehr Grund, diejenigen Würdenträger wertzuschätzen, die die Wahrheit nicht verraten haben, wie Erzbischof Lefebvre und seine Priesterbruderschaft St. Pius X. Umso mehr Grund, zumindest einen weiteren Blick darauf zu werfen, was mit ihr auf ihrem jüngsten Generalkapitel geschehen ist – ist die Bruderschaft tatsächlich auf die Spur des Erzbischofs zurückgekehrt, die sie 2012 verlassen hat, oder griff das französische Sprichwort: „Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich“?
Zu Beginn des Kapitels wurden drei neue Männer gewählt, um das Triumvirat (Dreimännerherrschaft) zu bilden, das die Bruderschaft regiert. Und viele gute Priester in der Bruderschaft stießen einen großen Seufzer der Erleichterung aus und genossen ein paar Tage echter Hoffnung auf die Zukunft. Doch am Ende des Kapitels wurden dann in den Generalrat der Bruderschaft, in dem grundlegende Entscheidungen getroffen werden, der bisherige Generalobere zusammen mit seinem eigenen Vorgänger als Generaloberer gewählt. Dies geschah durch eine Neuheit innerhalb der Bruderschaft: den neu geschaffenen Posten „Berater.“ Und so manches Herz eines guten Priesters muss in dessen Brust versunken sein. Welche Hoffnung bleibt nun auf einen Wechsel der verheerenden Ausrichtung der Bruderschaft weg von glaubenstreuer Wahrheit und hin zu glaubensfernen Ämtern, wenn die beiden Hauptarchitekten dieses Kurses im Generalrat der Bruderschaft Wiedereinsetzung finden?
Mindestens einem Teilnehmer des Kapitels gegenüber wurde versichert, dass die beiden „Ratgeber“ nicht im Bruderschaftshauptquartier in Menzingen, Schweiz, wohnen werden; dass sie nur in Fragen der Errichtung oder Schließung von Bruderschaftshäusern und der Aufnahme oder Ausweisung von Bruderschaftsmitgliedern beraten werden: dass das Aus-dem-Hut-Zaubern des „Beirats“ ein kluger Schachzug des Kapitels wäre, weil es Spaltungen in der Bruderschaft zu heilen helfe. Fühlt sich irgendjemand dadurch beruhigt? Menzingen muss das Vertrauen zurückgewinnen, das seine zweideutige Politik seit 20 Jahren eingebüßt hat. – Hier nun ein Kommentator unter vielen, der den jüngsten Schalmeienklängen aus dem Munde der Herrscher der Bruderschaft nicht traut:—
In Wirklichkeit verschleiert die – bereits im Vorfeld beschlossene – Wahl von Pater Pagliarani als neuer Generaloberer nur die im Einklang zuvor ebenfalls schon verankerte Politik einer Konsolidierung des Status quo, was die künftige Ausrichtung der Bruderschaft betrifft. Schamlos wurden zwei weitere Assistenten an die Seite des Neuen Generaloberen gestellt, die kaum jemals für ihren Widerstand gegen das modernistische Rom aufgefallen sind. Darüber hinaus hatte das Kapitel die Dreistigkeit, die Funktion zweier „Ratgeber“ zu erfinden, die in den Statuten der Gesellschaft gänzlich unbekannt sind, und für diesen Job ausgerechnet die beiden Charaktere zu „wählen,“ die, wie kein anderer jemals in der Bruderschaft zuvor, mit beispielloser Inbrunst für ein Abkommen mit Rom zeichnen: Pater Schmidberger, bekannt für seine Freundschaft mit Kardinal Ratzinger, und Bischof Fellay, bekannt für seine „neuen Freunde“ in Rom und für seine Hingabe zur Abwicklung der Bruderschaft, die den Römischen Apostaten mit gebundenen Händen und Füßen zu übergeben ist.
Das Bild, das entsteht, ist nicht unbedingt das einer bedingungslosen Auslieferung, aber wir erhaschen doch ein kleinen Blick auf einen neuen Weg, sich Rom zu nähern, indem man den Priestern und Laien der Bruderschaft mit etwas mehr Vorsicht und etwas mehr Diplomatie begegnet. Doch Gott sieht, und sieht voraus. Während der Mensch denkt, ist es Gott, der lenkt: Dann bestünde nämlich eine ganz andere Möglichkeit, dass Unser Heiland in den relativ jungen Pater Pagliarani eingreift und ihm die Gaben des Rates, der Stärke und der Gottesfurcht einflößt, die er braucht, um den Lauf des Bruderschaftrettungsboots zu begradigen und es sicher in den Hafen zu lenken. Möge dies Gottes Wille sein!
Fairnesshalber gilt anzumerken, dass es dem Kapitel gelungen ist, den Generaloberen auszutauschen, was das Wichtigste war, was es zu tun hatte. Bischof Fellay und Pater Schmidberger mögen als „Berater“ weiterhin mit den Römern darüber intrigieren, wie man die Überreste der Erzbischöflichen Priesterbruderschaft unter die Fersen des konziliaren Roms bringen kann, aber die höchste Machtfülle innerhalb der Bruderschaft obliegt nun Pater Pagliarani. Wird er sie gut gebrauchen? Das weiß Gott allein. „Die Liebe glaubt alles, hofft alles“ (I Kor. XIII, 7). Wir müssen für ihn beten.
Kyrie eleison.
Nicht jedermann ist in tiefen Schlaf versunken. In Frankreich verfolgen wachsame Augen, wie sich die Liberalen anschicken, die Priesterbruderschaft St. Pius X. beim bevorstehenden Generalkapitel zu übernehmen, bei dem die Bruderschaft ihre wahrscheinlich allerletzte Chance überhaupt erhält, gegen Vatikan II für den katholischen Glauben aufzustehen, wie es Erzbischof Lefebvre tat. Ein uns unbekannter Autor hat in der Zeitschrift Fidélité catholique francophone einen vorzüglichen Artikel publiziert, in dem er einige unheilverkündende Worte des Generalsekretärs der Bruderschaft, Pater Christian Thouvenot, die letzterer zu Beginn dieses Jahres in einem Gespräch mit der deutschen Distriktzeitschrift der Brüderschaft von sich gab, einer schneidenden Kritik unterzieht. Unsere folgenden Darlegungen stützen sich in erheblichem Umfang auf den erwähnten französischen Artikel.
Zuerst die unheilverkündenden Worte: „Es ist wahrscheinlich, dass sich die Frage des Status einer Personalprälatur auf dem Kapitel stellt. Der Generalobere jedoch leitet allein die Priesterbruderschaft, und er trägt die Verantwortung für die Beziehungen der Tradition zum Heiligen Stuhl. Im Jahr 1988 hat Erzbischof Lefebvre diesen Punkt ganz deutlich hervorgehoben.” (Mitteilungsblatt, Deutsche Distrikt, Februar). Diese Worte sind darum unheilverkündend, weil sie nur allzu leicht in dem Sinne interpretiert werden können, dass das Hauptquartier der Bruderschaft in Menzingen (wo Pater Thouvenor tätig ist) deren Mitglieder und Anhänger darauf vorbereitet, dass Bischof Fellay beim Generalkapitel Roms Angebot einer persönlichen Prälatur, anscheinend rechtsmässig, annehmen wird, und damit deren Fähigkeit, den Glauben durch ihren Widerstand gegen die Novus-Ordo-Messe sowie gegen das Zweite Vatikanische Konzil zu verteidigen, ein für alle Male lähmen wird. Und diese Worte sind unheilschwanger, weil sie zweideutig oder falsch sind.
Zunächst ist der Generalobere durchaus nicht das alleinige Oberhaupt der Bruderschaft. Es trifft zwar zu, dass er laut den von Erzbischof Lefebvre begründeten Statuten über sehr weitreichende Ermächtigungen verfügt, und zwar für einen Zeitraum von nicht weniger als zwölf Jahre; der Erzbischof wollte nämlich, dass der Generalobere genügend Zeit und ausreichende Befugnisse besitzt, um etwas zu erreichen, ohne daran gehindert zu werden, wie es Erzbischof Lefebvre selbst bei den Patres des Heiligen Geistes widerfahren war. Doch das alle sechs oder zwölf Jahre tagende Generalkapitel steht über dem Generaloberen, und er muss sich nach der von ersterem beschlossenen Politik richten. In der Theorie hat das Generalkapitel anno 2012 zwar entschieden, dass jede „kanonische Normalisierung“ der Bruderschaft bei einer Abstimmung im Generalkapitel der absoluten Mehrheit der Stimmen bedarf, doch in der Praxis hat Bischof Fellay bereits damit begonnen, innerhalb der Bruderschaft stattfindende Beichten, Priesterweihen und Eheschliessungen mit Rom zu „normalisieren.“ Und nun spricht sein Generalsekretär, als habe das Generalkapitel kein Wort mehr mitzureden, und als könne Bischof Fellay allein den Rest „normalisieren.“ Sind sich alle vierzig künftigen Kapitulanten vom Juli bewusst, wie Menzingen spricht? Sind sie damit einverstanden?
Zweitens behauptet Pater Thouvenot, Bischof Fellay sei – allein? – verantwortlich für die Beziehungen zwischen der katholischen Tradition und dem Heiligen Stuhl. Zweifellos möchten sowohl Rom als auch Bischof Fellay selbst die Situation so sehen, damit Rom die ganze „Tradition“ mit eisernem Besen wegwischen und Bischof Fellay sein Imperium erweitern kann. Doch die „Tradition“ ist eine mannigfaltige und heterogene Sammlung religiöser Vereinigungen und Gemeinschaften, die ganz sicher nicht alle vom konziliären Rom weggewischt oder von Bischof Fellay an die Kandare genommen werden wollen. Aus diesem Grund hat es Erzbischof Lefebvre mehrmals abgelehnt, sich als Oberhaupt der katholischen Tradition bezeichnen zu lassen. Doch sowohl Bischof Fellay als auch sein Sekretär spielen das Spiel des konziliären Rom.
Und drittens, wenn der Erzbischof zum Zeitpunkt der Weihen im Jahre 1988 darauf beharrte, dass er immer noch alleine für die Beziehungen der Bruderschaft zu Rom zuständig sei, lag der Grund hierfür in seinem Wissen, dass die jungen Mitarbeiter, die ihn umgaben, für die listigen Römer keine ernsthaften Gegenspieler waren. Seit seinem Tod im Jahre 1991 haben wir zu unserem eigenen Schaden erfahren, wie recht er mit dieser Einschätzung hatte. Er war nicht der Meinung, die Verfassung der Bruderschaft sei fähig, dem Generaloberen eine besondere Gnade zu verleihen, die es ihm ermögliche , den Konzilsrömern die Stirn zu bieten. Wenn sich Menschen irren, wird ihre Rettung nicht unbedingt von einer Verfassung kommen. Doch was konnte der Erzbischof schon tun? Auch er musste ja irgendwann einmal sterben!
Leser, wenn Sie einen Juli-Kapitulanten kennen, fragen Sie ihn, ob er weiss, was der Generalsekretär sagt!
Kyrie eleison.
Nehmen wir einmal an, Pater Gleize habe in seinem ersten Artikel, den wir hier vor sechs Wochen besprachen, die Wahrheit geschrieben, nämlich, es ist nicht bewiesen worden, dass Päpste der Häresie nicht verfallen können. Um Seelen zu retten, mag Gott von Luthers Zeit bis zum heutigen Tage den Autoritäten Seiner Kirche im dekadenten fünften Zeitalter besondere Gnadenmittel verliehen haben, um dieser Dekadenz zu widerstehen, aber mit Vatikan II ging dieses Zeitalter faktisch zu Ende. Die Konzilspäpste haben den Tod der Kirche bedeutet. Doch sind sie in formeller Hinsicht Ketzer? Im wichtigsten Teil seines zweiten Artikels rückt Pater Gleize die Frage in den Mittelpunkt, wie es diesen Päpsten bloss gelingen konnte, der Kirche den Todesstoss zu versetzen, indem sie die katholische Kirche unterwanderten, während sie zugleich unverdrossen behaupten, sie bleiben Katholiken. Worin besteht ihre Technik? Pater Gleize untersucht den Fall der fünf „dubia“ oder zweifelhaften Punkte, welche die vier Kardinäle zum Anlass nahmen, um ihre Bedenken gegen den Text des von Papst Franziskus verabschiedeten Dokuments „Amoris Laetitiae“ (AL) zu bekunden: Machen diese Punkte ihn zu einem bewussten und hartnäckigen Verleugner der festgelegten Doktrin der Kirche? Dem Anschein nach lautet die Antwort nein, meint Pater Gleize, aber in der Praxis sehr wohl:
Dem Anschein nach nein, weil Papst Franziskus in keinem der fünf Punkte der Doktrin der Kirche direkt widerspricht, sondern sich zweideutig oder gar nicht zu ihr äussert. Der erste der fünf Punkte ist ein Beispiel von Zweideutigkeit: Der Papst sagt nicht „Geschiedene können die Kommunion empfangen,“ sondern „In gewissen Fällen können Geschiedene die Kommunion empfangen.“ Hier hängt alles davon ab, ob man „in gewissen Fällen“ strikt oder grosszügig interpretiert. Die Formulierung ist zweideutig, und diese Zweideutigkeit ist dazu angetan, das Kirchenrecht zu untergraben, weil es viele Geschiedene gibt und allzu viele Priester und Prälaten, die gerne bereit sein werden, sich für die grosszügige Interpretation zu entscheiden.
In allen vier weiteren Fällen untergräbt der Papst die katholische Doktrin nicht durch Verleugnung, sondern durch Auslassung. Beispielsweise sagt er (bezüglich des vierten Punktes) nicht: „So etwas wie eine objektiv sündhafte Tat gibt es nicht,“ weil die Kirche stets eine Reihe objektiv sündhafter Taten beim Namen genannt hat, angefangen bei Gottes Zehn Geboten. Stattdessen sagt der Papst: „Objektive Sündhaftigkeit bedeutet nicht notwendigerweise subjektive Schuld.“ Nun hat die Kirche natürlich nie bestritten, dass es Umstände geben kann, unter denen diese oder jene Missetat nicht sündhaft ist, aber die subjektive Entschuldigung in den Vordergrund zu stellen, bedeutet die objektive Sünde der Missetat in den Hintergrund zu stellen. Die Sünder werden sich darüber freuen! Im Gegenteil hat die katholische Kirche die objektive Natur und die moralische Richtigkeit oder Falschheit von Taten freilich stets über die subjektive Schuld dieses oder jenes Menschen gestellt, der die Tat begeht. „Die Ausnahme bestätigt die Regel,“ lautet ein Sprichwort, und für den Juristen gilt: „Extremfälle taugen nicht als Präzedenzfälle.“ Doch der Subjektivismus von Papst Franziskus untergräbt das Kirchenrecht (und den gesunden Menschenverstand) mit Extremfällen, auch wenn er es vermeidet, dem Kirchenrecht direkt zu widersprechen. Pater Gleize gelangt zum Schluss, dass die fünf Zweifel der vier Kardinäle voll und ganz gerechtfertigt sind.
Allerdings zieht sich der Papst aus der Affäre, indem er es vermeidet, dogmatische oder antidogmatische Aussagen zu machen. Er selbst schreibt in AL, sein Ziel bestehe darin, „von den beiden Synoden Anregungen über die Familie zu erhalten, zusammen mit weiteren Überlegungen, die angetan sind, Gedenken oder einen Dialog über die pastorale Praxis anzuregen.“ Dies ist zugestandenermassen kein dogmatisches Ziel. Deshalb ist es schwierig, Papst Franziskus die Etikette „formeller Häretiker“ anzuheften. Doch genauso wie Vatikan II beteuerte, lediglich ein „pastorales,“ d. h. nicht doktrinäres Konzil zu sein, und der katholischen Lehre sowie der Kirche dennoch einen fürchterlichen Schlag versetzte, versetzt auch Papst Franziskus, wenn er in Amoris Laetitia behauptet, er lehre hier keine Doktrin, der katholischen Moral und der Familie einen furchtbaren Schlag. Es ist dies die klassische kommunistische oder neomodernistische Subversionstaktik, bei der die Wahrheit durch Praktizismus unterminiert wird, zwar nicht im Prinzip, wohl aber in der Praxis. Man vergleiche hierzu Roms Aufforderung gegenüber Bischof Fellay: „Erreichen Sie zuerst praktische Anerkennung, über die Doktrin können wir uns dann später unterhalten,“ sowie Bischof Fellays Beteuerung gegenüber der Piusbruderschaft: „Wir ändern die Doktrin nicht,“ während er selbst kaum noch einen Hauch von Kritik daran übt, dass Papst Franziskus die Kirche zerstört. Hätte Erzbischof Lefebvre in dieser Lage geschwiegen? Die Frage stellen heisst sie beantworten.
Pater Gleize folgert, dass Papst Franziskus kein „formeller Häretiker“ sein mag, jedoch sicherlich „Häresie begünstigt.“ „Formelle Häresie“ wäre unter normalen Umständen die schlimmere der beiden Sünden, doch nicht so kurz vor dem Ende des fünften Zeitalters der Kirche, wo die Heuchelei der Feinde der Kirche schlimmer ist denn je zuvor. Der Himmel helfe uns mehr denn je! Betet den Rosenkranz der fünfzehn Geheimnisse jeden Tag!
Kyrie eleison.