Sedivakantismus

Argument Gegen Lefebvre – II

Argument Gegen Lefebvre – II on April 14, 2018

Gibt es einen Grund dafür, dass N. M. (siehe die letztwöchige Ausgabe dieser „Kommentare“) bei seinem Versuch, das Problem der Konzilspäpste in den Griff zu bekommen, die dramatische Lösung wählt, dass sie gar keine Päpste waren oder sind? Allem Anschein nach ja. Die katholische Kirche ist sowohl menschlich (als Gesellschaft von Menschen) als auch göttlich (da sie vom Heiligen Geist besonders belebt ist), und es ist wichtig, diese beiden Dinge nicht miteinander zu verwechseln. Alle Menschen sind als solche fehlbar. Gott allein ist unfehlbar. Der Irrtum, den Katholiken begehen, wenn sie zur derselben dramatischen Lösung greifen wie N. M., besteht darin, dass sie den menschlichen Päpsten allzu viel von jener Unfehlbarkeit zusprechen, die nur von Gott allein kommen kann. Zur Veranschaulichung wählen wir ein Beispiel aus irgendeinem modernen Haushalt.

Wenn ich einen Stecker in eine Steckdose an der Wand stecke, kommt der elektrische Strom nicht von dem Stecker, sondern von einem Kraftwerk, das ihn durch den Wand und die Steckdose in den Stecker und jedes beliebige Gerät leitet, welches den Strom benötigt. Dieses Kraftwerk ist Gott. Die Wand und die Steckdose sind die Kirche. Der Strom ist die Unfehlbarkeit, die von Gott kommt. Der Stecker sind die vier Bedingungen, die der Papst allein in die Steckdose einleiten kann. Diese Bedingungen lauten bekanntlich wie folgt: 1) Er muss in seiner Eigenschaft als Papst sprechen 2) um ein und für alle Male 3) eine Frage des Glaubens oder der Moral festzulegen 4) in der Absicht, sämtliche Katholiken zur Akzeptanz seiner Entscheidung zu verpflichten. Wenn der Papst alle vier Bedingungen erfüllt, hat er, und nur er allein, als Mensch garantierten Zugang zu der göttlichen Unfehlbarkeit der Kirche. Für die Erfüllung der vier Bedingungen muss der Papst sorgen. Für die Unfehlbarkeit sorgt Gott.

Selbstverständlich ist diese besondere Steckdose, als Aussergewöhnliches Lehramt der Kirche bekannt, nicht der einzige Zugang, den Menschen zur Unfehlbarkeit der Kirche erlangen können. Dies gelingt ihnen bedeutend häufiger durch das Gewöhnliche Lehramt der Kirche, bei dem es sich um die katholische Tradition handelt, d. h. um all das, was die Lehrer der Kirche, insbesondere Päpste und Bischöfe, überall auf der Welt gelehrt haben, seit Jesus Christus als Gott dieses Lehramt des Glaubens Seiner Kirche anvertraute, die Unfehlbarkeit der Apostel an Pfingsten bekräftigte und ihnen diese Unfehlbarkeit weiter verlieh, bis der letzte von ihnen gestorben war. Von da an war diese Doktrin in den Händen fehlbarer Menschen, denen Gott ihren freien Willen liess und damit auch die Möglichkeit, den Irrtum zu lehren, sofern sie sich hierfür entschieden. Doch für den Fall, dass menschlicher Irrtum zweifelhaft erscheinen lassen sollte, was zu der unfehlbaren Doktrin gehörte und was nicht, gab Gott Seiner Kirche auch das Aussergewöhnliche Lehramt, und zwar darum, um ein für alle Male festzulegen, was zum Gewöhnlichen Lehramt gehört und was nicht. Somit verhält sich der Gewöhnliche Lehramt zum Aussergewöhnlichen wie der Hund zum Schwanz und nicht wie der Schwanz zum Hund!

Das Problem zahlloser Katholiken seit der feierlichen Definition der Unfehlbarkeit der Kirche im Jahre 1870 besteht darin, dass, weil der Zugang des Aussergewöhnlichen Lehramts zur Unfehlbarkeit der Kirche auf eine Weise garantiert ist, die für das Gewöhnliche Lehramt nicht gilt, ersteres den Vorrang vor letzterem zu haben scheint, weshalb die Katholiken dazu neigen, die Bedeutung des Ausserordentlichen Lehramts zu überschätzen und dem Papst persönlich jene Unfehlbarkeit zuzuschreiben, die in Wahrheit einzig und allein die Kirche automatisch besitzt. Dies bedeutet folgendes: Wenn der Papst schwerwiegende Irrtümer begeht wie jene, denen die Konzilspäpste verfallen sind, ist die einzig mögliche Erklärung dafür, dass sie gar keine Päpste sind. Oder aber: Wenn sie doch Päpste sind, dann muss man ihren Irrtümern folgen. Die Logik dieses Gedankenganges ist einwandfrei, doch beruht er auf einer falschen Prämisse. Päpste sind durchaus nicht so unfehlbar, wie manche meinen. Sie können ernsthafte Irrtümer begehen, wie Vatikan II und seine Konzilspäpste gezeigt haben – Irrtümer, wie sie noch nie zuvor in der gesamten Kirchengeschichte vorgekommen sind! Aber die Kirche bleibt unfehlbar, und darum weiss ich, dass die katholische Tradition bis zum Ende der Welt bestehen wird, so sehr sich irgendwelche bedauernswerte Päpste ab und zu bemühen mögen, möglichst schlimme Dinge anzurichten.

Doch wie weiss ich, dass dem Papst als Papst nur der Stecker (die vier Bedingungen) und nicht der elektrische Strom (die Unfehlbarkeit) zukommt, und dass der Strom selbst nur der Wand (der Kirche) gehört? Weil die Definition der Unfehlbarkeit im Jahre 1870 dies ausdrücklich festhält! Ich brauche nur zu lesen, was dort geschrieben steht: Wenn der Papst die vier (oben erwähnten) Bedingungen erfüllt, ist er „im Besitze jener Unfehlbarkeit, von der der Göttliche Erlöser wollte, dass seine Kirche bei der Festlegung der Doktrin bezüglich Fragen des Glaubens oder der Moral ausgestattet sein sollte.“

Somit steht es katholischen Päpsten frei, furchtbare Irrtümer zu begehen, ohne dass die Kirche deswegen weniger unfehlbar wäre.

Kyrie eleison.

„Argument Gegen Lefebvre“ – I

„Argument Gegen Lefebvre“ – I on April 7, 2018

Ein französischer Laie, N. M., hat soeben einen Artikel geschrieben, in dem er die französischen Dominikanerpriester von Avrillé wegen ihres „Lefebvrismus“ kritisiert, d. h. wegen ihrer Weigerung, die These zu akzeptieren, wonach die Konzilspäpste seit Paul VI. gar keine Päpste waren und sind. Der Autor wirft den Dominikanern vor, drei katholische Dogmen zu verwerfen: Dass der Papst das Jurisdiktionsprimat über die Universale Kirche besitzt; dass das Universale Gewöhnliche Lehramt der Kirche unfehlbar ist; dass das Lebendige Lehramt der Kirche festlegt, was Katholiken glauben müssen. Normalerweise könnte man solche Fragen der Doktrin den Experten auf diesem Gebiet überlassen, doch wir leben eben nicht in normalen Zeiten. Die heutigen Katholiken können sich auf ihren katholischen Menschenverstand verlassen müssen, um solche Fragen für sich selber zu beantworten.

Betrachten wir alle drei Fragen auf einfache und praktische Weise. Wenn ich bereit bin zu akzeptieren, dass die Päpste seit Paul VI. wahre Päpste waren, warum sollte ich dann bestreiten müssen, dass erstens der Papst das Oberhaupt der Kirche ist, dass zweitens das Gewöhnliche Lehramt der Kirche unfehlbar ist, und drittens dass der lebendige Papst mir vorschreibt, was ich heute glauben soll? Nehmen wir die Argumente von N. M. der Reihe nach unter die Lupe:

Zum ersten Punkt: N. M. zitiert das durch und durch antiliberale Konzil von Vatikan I (1870–1871), um zu belegen, dass der Papst das direkte und unmittelbare Oberhaupt jeder Diözese, jedes Priesters und jedes Katholiken ist. Wenn ich mich dann, wie alle Lefebvristen, weigere, ihm zu gehorchen, bestreite ich implizit, dass er mein Oberhaupt als Katholik ist; damit bestreite ich, dass der Papst das ist, als was ihn Vatikan I definiert hat. Antwort: Ich stelle keinesfalls in Abrede, dass die Konzilspäpste die Autorität besitzen, mir, der ich Katholik bin, Befehle zu erteilen; ich sage lediglich, dass ihre katholische Autorität nicht das Recht einschliesst, mich zu zwingen, Protestant zu werden; genau dies täte ich jedoch, würde ich ihre Befehle in Übereinstimmung mit Vatikan II befolgen.

Das zweite Argument von N. M. lautet: Vatikan I hat auch festgelegt, dass die vom Papst und den Bischöfen gelehrte Alltagsdoktrin unfehlbar sei. Doch wenn Papst und Bischöfe jemals ernstlich gemeinsam gelehrt haben, dann bei Vatikan II. Verwerfe ich diese Lehre, bestreite ich implizit, dass das Universale Gewöhnliche Lehramt der Kirche unfehlbar ist. Antwort: Nein, das tue ich nicht. Ich anerkenne voll und ganz, dass, wenn eine Doktrin in der Kirche fast überall, zu jeder Zeit und von sämtlichen Päpsten und Bischöfen gelehrt wurde, sie in der Tat unfehlbar ist, aber wenn sie lediglich in modernen Zeiten, ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von den Päpsten und Bischöfen von Vatikan II gelehrt wurde, widerspricht sie dem, was von Päpsten und Bischöfen zu allen anderen Zeiten der Kirche gelehrt worden ist, und ich fühle mich nicht verpflichtet, es zu akzeptieren. Da ich das entscheidend wichtige Universale Gewöhnliche Lehramt aller Zeiten akzeptiere, verwerfe ich das Gewöhnliche Lehramt von heute, das ersterem widerspricht und darum nicht bindend ist.

Drittens: N. M. argumentiert, der wahre Papst besitze die lebendige Autorität, mir als Katholiken zu sagen, was ich heute glauben muss. Wenn ich mich dann weigere, zu glauben, was die Konzilspäpste mir zu glauben befohlen haben, verwerfe ich deren lebendige Autorität als Schiedsrichter des Glaubens. Antwort: Nein, dies tue ich nicht. Ich gebrauche meine Augen zum Lesen und den mir von Gott geschenkten Verstand, um zum Urteil zu gelangen, dass das, was mir die Konzilspäpste sagen, dem widerspricht, was alle früheren Päpste bis hin zu Petrus mir gesagt haben, und ich ziehe es vor, mich der gewichtigen Autorität von 261 Päpsten unterzuordnen und mir von ihnen sagen zu lassen, was ich glauben soll, und nicht der ungleich weniger gewichtigen Autorität von sechs Konzilspäpsten. „Aber dann verwerfen Sie die lebendige Autorität des lebenden Papstes als Schiedsrichter des Glaubens!“ Einzig und allein deshalb, weil ich 261 Päpsten folge, gehorche und mich ihnen unterwerfe, die wahre Schiedsrichter jenes Glaubens waren, von dem mir meine Augen und mein Verstand sagen, dass die Konzilspäpste ihm nicht folgen. „Aber dann vertrauen Sie Ihren Augen und Ihrem Verstand mehr als dem katholischen Papst!“ Antwort: Gott gab mir Augen und Verstand; sowohl die einen wie der andere funktionieren, und wenn ich vor Ihn treten muss, um gerichtet zu werden, werde ich die Verantwortung für den Gebrauch übernehmen, den ich von ihnen gemacht habe.

Es ist klar, dass die von N. M. selbst erteilte Antwort auf das Problem von Päpsten, die dem Protestantismus und dem Modernismus zuneigen und die Irrtümer des Zweiten Vatikanischen Konzils verbreiten, darin besteht, zu bestreiten, dass sie überhaupt je Päpste waren. Es sollte gleichermassen klar sein, dass ich nicht verpflichtet bin, zur Behebung dieses sehr realen Problems zu der drastischen Lösung von N. M. zu greifen. Und wenn ich mich weigere, dies zu tun, heisst das mitnichten, dass ich verpflichtet bin, drei Dogmen der Kirche in Frage zu stellen. Friede sei mit N. M.

Kyrie eleison.

Nochmals Sedisvakantismus – II

Nochmals Sedisvakantismus – II on Oktober 8, 2016

Für jede katholische Seele, die sich heutzutage der Schwere der Krise, in der die Kirche steckt, bewusst ist und darüber tiefen Schmerz empfindet, kann die Einfachheit des Sedisvakantismus, der die Kirche und die Päpste des Zweiten Vatikanischen Konzils als ungültig abstempelt, zu einer ernsthaften Versuchung werden. Schlimmer noch – die scheinbare Logik der ecclesiavakantistischen und sedisvakantistischen Argumente kann diese Versuchung in eine geistige Falle verwandeln, die bei einem Katholiken im ärgsten Fall zu einem völligen Verlust seines Glaubens führen kann. Aus diesem Grund greifen unsere”Kommentare“ aus dem Wust von Argumenten, die BpS in seinem letzte Woche hier erwähnten Artikel aus dem Jahre 1991 ins Feld führt, nun das Hauptargument heraus, um es einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen. Fassen wir dieses Argument nochmals zusammen:

Obersatz: Die Katholische Kirche kann nicht scheitern (Gott selbst hat ihr verheissen, dass sie bis zum Ende der Zeiten Bestand haben wird; siehe Matthäus XXVIII, 20). Untersatz: Die Konzilskirche, oder Kirche des Novus Ordo, die sich dem Neomodernismus und dem Liberalismus vollständig unterworfen hat, ist doch gescheitert. Schlussfolgerung: Die Kirche des Novus Ordo ist in keiner Hinsicht katholisch, und ihre Päpste sind in keiner Hinsicht Päpste. In anderen Worten: Die Kirche ist blütenweiss, während die Neukirche tiefschwarz ist; somit sind Kirche und Neukirche grundverschieden. Auf Geister, die gerne in den Kategorien von schwarz und weiss denken und keine Zwischentöne kennen, wirkt dieses Argument sehr anziehend. Doch für Geister, die anerkennen, dass die Dinge im realen Leben oft grau oder eine Mischung von schwarz und weiss sind (ohne dass schwarz deswegen aufhört, schwarz zu sein, und ohne dass weiss aufhört, weiss zu sein), ist dieses Argument zu absolut, um wahr zu sein. Somit beinhaltet der Obersatz eine Übertreibung der Unmöglichkeit des Scheiterns der Kirche und der Untersatz eine Übertreibung des Scheiterns der Neukirche. Eine Theorie mag absolut sein, aber ihre Verkörperung in der Wirklichkeit ist selten absolut. Betrachten wir näher die Unmöglichkeit eines Abfalls der Kirche sowie den Abfall der Konzilskirche nun so, wie sie in Wirklichkeit sind.

Bezüglich des Obersatzes übertreiben die Sedisvakantisten oft die Unmöglichkeit eines Abfalls der Kirche genau so, wie sie die Unfehlbarkeit der Päpste häufig übertreiben, weil sie diese Übertreibungen zur Rationalisierung des gefühlsmässigen Abscheus darüber benötigen, was seit dem Konzil aus der Katholischen Kirche geworden ist. Doch so wie diese Unfehlbarkeit in Wirklichkeit nicht ausschliesst, dass manche Päpste der Kirchengeschichte schwerwiegende Irrtümer begangen haben, und nur dann Gültigkeit besitzt, wenn der Papst entweder – Gewöhnlich – sagt, was die Kirche stets gesagt hat, oder – Aussergewöhnlich – alle vier Bedingungen der Definition von 1870 erfüllt, schliesst auch die Unmöglichkeit eines Scheiterns der Kirche nicht aus, dass es in manchen Perioden der Kirchengeschichte äusserst schwerwiegende Formen des Abfalls gegeben hat, wie beispielsweise die Triumphe des Islam oder des Protestantismus oder derjenige des Antichrist (Lukas XVIII, 8). Somit ist die Unmöglichkeit eines Abfalls der Kirche durchaus nicht so absolut, wie BpS behauptet.

Was den Untersatz betrifft, so trifft es zwar zu, dass der Abfall der Konzilskirche wesentlich gravierender ist als jener des Islam oder des Protestantismus, weil er auf das Haupt und das Herz der Kirche in Rom zielt, was die beiden früheren Häresien nicht taten. Nichtsdestoweniger hat es ein halbes Jahrhundert Konzilskirche (1965–2016) nicht vermocht, die Kirche zu einem vollständigen Abfall zu veranlassen oder zu bewirken, dass sie in jeder Hinsicht versagte. Beispielsweise hat Erzbischof Lefebvre – und er stand nicht allein – von 1970 bis 1991 das Banner des wahren Glaubens geschwenkt; seine Nachfolger taten von 1991 bis 2012 mehr oder weniger dasselbe, und der von Feinden umzingelte „Widerstand“ bleibt dieser Linie bis heute treu. Und bevor die Kirche in einer nicht allzu fernen Zukunft auf menschlicher Ebene zusammenbricht, wird ihr vollständiges Scheitern zweifellos durch göttlichen Beistand verhindert werden, so wie kurz vor dem Ende der Welt (Matthäus XXIV, 21–22). Deshalb ist sogar das Konzil als Abfall der Kirche nicht dermassen absolut, wie BpS vorgibt.

Somit muss sein Syllogismus umformuliert werden. Obersatz: Die Tatsache, dass die Kirche ewig Bestand haben wird, schliesst zahlreiche schwerwiegende Beispiele von Abfall keineswegs aus, sondern lediglich einen totalen Abfall. Untersatz: Vatikan II war ein äusserst gravierender, jedoch nicht totaler Abfall der Kirche (auch wenn Katholiken, die sich seiner Gefahren bewusst sind, ihn zur Verhütung einer Ansteckung sorgsam meiden müssen). Schlussfolgerung: Die Unfehlbarkeit der Kirche schliesst Vatikan II nicht aus. Kurz gesagt, Gottes eigene Kirche ist grösser als alle Bosheit des Teufels oder des Menschen, selbst Vatikan II. Der Abfall der Konzilskirche mag in der gesamten Kirchengeschichte wohl beispiellos schwerwiegend sein, doch das ewige Bestehen der Kirche und die Unfehlbarkeit der Päpste kommen von Gott und nicht von den Menschen. Wie die Liberalen denken auch die Sedisvakantisten, menschlich, allzu menschlich.

Kyrie eleison.

Nochmals Der Sedisvakantismus (I)

Nochmals Der Sedisvakantismus (I) on Oktober 1, 2016

Etliche Leser dieser „Kommentare“ mögen Unmut darüber empfinden, dass sie sich abermals mit der These auseinandersetzen müssen, wonach die Konzilspäpste überhaupt keine Päpste seien, doch die unlängst erfolgte Übersetzung ins Französische eines 1991 in englischer Sprache erschienenen Artikels zeigt, wie notwendig ist es, ein weiteres Mal nachzuweisen, dass die Argumente für den Sedisvakantismus nicht so stichhaltig sind, wie es scheinen mag. Für die Liberalen ist diese Beweisführung unnötig, weil der Sedisvakantismus für sie keine Versuchung darstellt. Andererseits gibt es erwählte katholische Seelen, die sich durch Gottes Gnade vom Liberalismus abgewandt und der katholischen Tradition zugewandt haben und für die der Sedisvakantismus durchaus gefährlich ist. Den Teufel kümmert es wenig, ob wir, wenn wir unser Gleichgewicht verloren haben, nach rechts oder nach links straucheln – für ihn zählt einzig, dass wir straucheln.

Denn in der Theorie mag der Irrtum des Sedisvakantismus tatsächlich kein so tiefer oder schwerwiegender Irrtum sein wie die allgegenwärtige geistige Fäulnis des Liberalismus, aber wie oft beobachtet man in der Praxis, dass das Denken eines Menschen durch den Sedisvakantismus gänzlich blockiert wird und, was als vertretbare Meinung begann (welcher Katholik könnte behaupten, die Worte und Taten von Papst Franziskus seien katholisch?) zu einer unannehmbaren dogmatischen Gewissheit wird (welcher Katholik könnte in einer solchen Frage mit Sicherheit richtig urteilen?) und sich dann als das Dogma der Dogmen durchsetzt, als ob der katholische Glaube eines Menschen danach zu beurteilen wäre, ob er glaubt oder nicht glaubt, dass wir seit, sagen wir, Pius XII. keinen echten Papst mehr hatten.

Ein in früheren”Kommentaren” angeführter Grund für diese oft zu beobachtende innere Dynamik des Sedisvakantismus mag darin liegen, dass er sich anheischig macht, ein quälendes, für den Glauben bedrohliches Problem auf ganz einfache Weise zu lösen und somit den Gordischen Knoten gewissermassen zu durchhauen: „Wie können diese Zerstörer der Kirche wahre katholische Päpste sein?“ Antwort: Sie sind gar keine Päpste. „Oh, welch eine Erleichterung! Nun bin ich diese quälende Ungewissheit los.“ Das Denken ist damit blockiert, und der Sedisvakantismus wird, als sei er das Evangelium, jedem gepredigt, der hören (oder auch nicht hören) will. Im schlimmsten Fall kann die Infragestellung ihrer Legitimität von den Päpsten auf sämtliche Kardinäle, Bischöfe und Priester ausgedehnt werden, so dass ein einst gläubiger Katholik zu einem „home aloner“ wird, der überhaupt nicht mehr zur Messe geht. Wird es ihm gelingen, den Glauben zu wahren? Und seinen Kindern? Hier liegt die Gefahr.

Um unbeirrt auf dem Wege unseres katholischen Glaubens fortzuschreiten und nicht in die Fallen zu tappen, die zu einer Rechten ebenso lauern wie zu seiner Linken, wollen wir die Argumente von BpS in dem zuvor erwähnten Artikel prüfen. („BpS“ ist eine Abkürzung, die viele Leser sofort verstehen werden, die hier jedoch nicht ausgeschrieben zu werden braucht, weil es uns mehr um die Argumente als um die Person geht.) In seinem Artikel macht er immerhin von seiner Denkfähigkeit Gebrauch, und er hat einen katholischen Glauben an das Papsttum, denn sonst wären die Konzilspäpste ja kein Problem für ihn. Diese Logik und dieser Glaube sind an den Sedisvakantisten das Beste, doch weder BpS noch seine Gesinnungsgenossen behalten das vollständige Bild vor Augen: Gott kann nicht zulassen, dass seine Kirche vom rechten Pfade abkommt, doch dass viele ihrer Vertreter vom rechten Pfade abkommen, kann er sehr wohl zulassen.

Im Kern lautet das Argument von BpS wie folgt: Obersatz: Die Kirche kann nicht scheitern. Untersatz: Anlässlich von Vatikan II wurde die Kirche liberal, d.h. hat gescheitert. Schlussfolgerung: Die Konzilskirche ist nicht die wahre Kirche, was bedeutet, dass die Konzilspäpste, die Vatikan II leiteten oder ihm folgten, keine wahren Päpste gewesen sein können.

Dieses Argument wirkt überzeugend. Doch aus dem genau gleichen zwei Prämissen lässt sich auch eine liberale Schlussfolgerung ableiten: Die Kirche kann nicht scheitern, die Kirche wurde liberal, also muss auch ich als Katholik liberal werden. Dass der Sedisvakantismus dieselben Wurzeln hat wie der Liberalismus, sollte jeden Sedisvakantisten zur Überprüfung seiner Position veranlassen. BpS bemerkt die gemeinsamen Wurzeln zwar und nennt sie „ironisch,“ aber sie sind weit mehr als das. Sie weisen darauf hin, dass Liberale und Sedisvakantisten denselben Irrtum begehen, der in dem Obersatz liegen muss. In der Tat missverstehen beide, wie weit die Kirche doch scheitern kann, so wie sie auch die Unfehlbarkeit der Päpste übertreiben. Nächste Woche wird das Argument von BpS in diesen Kommentaren einer eingehenderen Analyse unterzogen.

Kyrie eleison.

Vernünftige Vakanz – II.

Vernünftige Vakanz – II. on Mai 2, 2015

Zum Thema Amtsenthebung eines häretisches Papstes erwiesen die traditionell dominikanischen Patres im französischen Avrillé einen guten Dienst durch ihre Veröffentlichung der klassischen Überlegungen sowohl von anderen hervorragenden Theologen als auch vom spanischen Johannes von St. Thomas (vergleiche EC 405). Kurz gesagt lehren die besten Kirchentheologen, daß die simple und heute beliebte Theorie, wonach ein häretischer Papst nicht mehr Glied der Kirche und daher umso weniger ihr Haupt sein könne, etwas zu einfach ist. Kurzum, beim Papst gilt nicht derselbe Ansatz wie wenn ein individueller Katholik in die Häresie fällt, dadurch den wahren Glauben verliert und somit nicht mehr Glied der Kirche ist. Denn die Kirche stuft den Papst deutlich höher ein als nur einen einzelnen Katholiken. Der Klarheit zuliebe wollen wir die Argumente der Theologen als Fragen und Antworten darstellen:

Ist es zunächst überhaupt möglich, daß ein Papst in die Häresie fällt?

Wenn er alle vier Bedingungen seines Außerordentlichen Lehramtes in Anspruch nimmt, so kann er keine Häresie lehren. Doch daß er persönlich in die Häresie fallen kann, ist die wahrscheinlichere Meinung zumindestens der älteren Theologen.

Wenn der Papst nun in die Häresie fällt, hört er dann auf, ein Glied der Kirche zu sein?

Als eine einzelne katholische Person schon, doch als Papst nicht notwendigerweise, weil der Papst viel mehr ist als nur ein einzelner Katholik. Wie der hl. Augustinus sagte, ist der Priester für sich ein Katholik, aber er ist Priester für die anderen. Nun ist der Papst für die gesamte Kirche Papst.

Nehmen wir an, daß die große Mehrheit der Katholiken sähe, daß der Papst ein Häretiker sei, weil es offensichtlich wäre. Würde dann nicht seine Häresie es ihm unmöglich machen, länger Papst zu sein?

Nein, denn selbst wenn seine Häresie offensichtlich wäre, könnten immer noch viele Katholiken dieses abstreiten, z.B. aus Gründen ihrer „Pietät“ dem Papst gegenüber. Um also eine ausbreitende Verwirrung in der Gesamtkirche zu vermeiden, müßte eine offizielle Feststellung über die Häresie des Papstes erfolgen, um die Katholiken daran zu binden, vereint zu bleiben. Doch erst ein Kirchenkonzil, das für diesen Zweck zusammengerufen würde, könnte eine solche Feststellung treffen.

Doch wenn die Häresie öffentlich und offensichtlich wäre, würde das dann nicht genügen, den Papst abzusetzen?

Nein, denn erstens muß jeder Häretiker offiziell gewarnt werden, bevor er abgesetzt werden kann, falls er seine Häresie widerrufen möchte. Zweitens dient jeder höhere Amtsträger in Kirche oder Staat dem Gemeinwohl, und um diesen Gemeinwohls willen muß dieser Träger in seinem Amt bleiben, bis er diesem offiziell enthoben worden ist. So wie ein Bischof so lange im Amt bleibt, bis er vom Papst abgesetzt worden ist, so bleibt auch der Papst solange im Amt, bis die offizielle Feststellung seiner Häresie durch ein Kirchenkonzil unserem Herrn Jesus Christus anheimgestellt hat, den Papst abzusetzen (vergleiche EC 405).

Aber wenn ein Häretiker kein Glied der Kirche mehr ist, wie kann er dann noch ihr Kopf und damit ihr wichtigstes Glied sein?

Weil seine persönliche Mitgliedschaft von seinem offiziellen obersten Leitungsamt verschieden ist. Durch seine persönliche Mitgliedschaft empfängt er die Heiligung von der Kirche. Durch sein oberstes Leitungsamt gibt er der Kirche die offizielle Regierung. Empfangen heißt nicht geben. Fällt er in die Häresie, so hört er gewiß auf, ein lebendiges Glied der Kirche zu sein, doch raubt dieses geistliche Absterben ihm nicht die Befähigung, die Kirche zu regieren. Seine Mitgliedschaft in der Kirche durch den Glauben und die Nächstenliebe ist unvereinbar mit der Häresie, doch sein Regieren der Kirche über seine Jurisdiktion braucht nicht notwendigerweise den Glauben oder die Nächstenliebe, und ist selbst mit der Häresie vereinbar.

Aber ein früherer Papst hat durch seine Häresie doch sein Papstamt hinweggeworfen . . .

Persönlich und privat trifft dies zu, aber offiziell und öffentlich gilt es erst, wenn ein Kirchenkonzil die Häresie des Papstes öffentlich und offiziell festgestellt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt muß der Papst wie ein Papst behandelt werden, weil zum Frieden und dem Gemeinwohl der Kirche unser Herr Jesus Christus seine päpstliche Jurisdiktion aufrechterhält.

Kyrie eleison.

Streiten aus Gefühl

Streiten aus Gefühl on März 21, 2015

Beginnen wir mit einem Vergleich von gestern, denn sein Vorteil ist die Klarheit: Die schwere Last auf dem Rücken eines Maultiers auszugleichen, kann schwierig sein. Kippt sie nach links ab, muß man sie wieder nach rechts drücken. Rutscht sie nach rechts weg, muß man sie wieder nach links schieben. Doch ist dieses doppelte Schieben nicht widersprüchlich, weil sein alleiniger Zweck darin besteht, die Ladung ausgewogen zu halten. Auf ähnliche Weise bedeutet die wiederholte Argumentation dieser „Kommentare“ gegen den Sedisvakantismus nicht, dem Liberalismus das Wort zu reden oder den Sedisvakantismus für so schlecht zu halten wie den Liberalismus. Sondern diese Argumentation soll lediglich unterstreichen, daß die ungeheuerlichen Worte und Taten des jetzigen Besetzers des Heiligen Stuhles viele gute Katholiken dazu verlocken, ihren Verstand auszuschalten und die Wirklichkeit mit ihrem Gefühl zu beurteilen. Dies ist heute eine gängige Praxis, ist aber nicht katholisch.

Zum Beispiel sind die sedisvakantistischen Argumente bei genauer Untersuchung gar nicht mehr so überzeugend, wie sie auf den ersten Blick scheinen mögen. Betrachten wir zwei davon, welche zwei fromme und glaubensstarke Katholiken kürzlich auf meinen Schreibtisch servierten. Das erste Argument: Die Konzilspäpste, insbesondere Franziskus, haben die Brüder nicht im Glauben bestärkt. Dies zu tun sei jedoch das Wesen eines Papstes, weswegen die Konzilspäpste im wesentlichen keine Päpste seien. Als Antwort darauf müssen wir unterscheiden zwischen einem Papst seinem Sein nach, und einem Papst seiner Handlung nach. Im wesentlichen wird ein Papst dem Sein nach Papst durch seine gültige Wahl in einem Kardinalskonklave, oder, falls diese Wahl ungültig gewesen sein sollte, durch die Bekräftigung der Wahl infolge der Akzeptanz als Papst durch die Weltkirche (was bei mehr als einem Konzilspapst der Fall gewesen sein darf – weiß Gott). Im Gegensatz dazu ist ein Papst, welcher seine Brüder im Glauben bestärkt, im wesentlichen durch sein Handeln Papst. Sein und Handeln sind in dieser Hinsicht verschieden und können getrennt werden. Daher kann ein Papst seinem Handeln nach versagen, muß dann aber nicht aufhören, seinem Sein nach Papst zu sein. Dies ist gewiß bei mehreren, wenn nicht allen Konzilspäpsten, der Fall.

Das zweite Argument: Es sei lächerlich, wenn der einzelne, fehlbare Katholik selber als Richter über Irrtümer des unfehlbaren kirchlichen Lehramtes sich erhebe. Angesichts von offensichtlichen Irrtümern (wie dem Konziliarismus) durch dieses Lehramt (wie die Konzilspäpste) könne der einzelne Katholik nur schlußfolgern, daß dies keine echten Päpste seien. Als Antwort darauf wenden wir ein, daß der Papst nicht notwendigerweise das unfehlbare Lehramt der Kirche ist. Wenn er weder alle vier strengen Bedingungen für das Außerordentliche Lehramt in Anspruch nimmt, noch in Übereinstimmung mit dem Ordentlichen Lehramt der Kirche spricht, dann ist der Papst fehlbar; und wenn er noch dazu dem Ordentlichen Lehramt widerspricht, so ist er sogar gewiß im Irrtum und kann also von jedem Katholiken (oder Nichtkatholiken!) durch rechten Gebrauch seines gottgegebenen Verstandes als Irrender beurteilt werden. Warum sonst hätte unser Herr vor falschen Propheten und Wölfen im Schafspelz uns alle gewarnt (Matthäus 7, 15–20)?

Beide vorgestellten Argumente entspringen oft einem gefühlsmäßigen Zurückweisen der Konzilspäpste, nach dem Motto: „Diese Päpste haben die Kirche so mißhandelt, daß ich einfach nicht akzeptieren kann, daß sie Päpste gewesen sind!“ Doch angenommen, wir wären Zuschauer des ursprünglichen Kreuzweges unseres Herrn gewesen. Hätten wir dann nicht auch sagen können: „Das ist eine solche Mißhandlung Jesu Christi, daß ich einfach nicht mehr annehmen kann, daß er Gottes Sohn ist!“? Wäre dann nicht mein gefühlsmäßiges Zurückweisen der Mißhandlung richtig, jedoch meine Schlußfolgerung falsch? Die Konzilspäpste umgibt etwas Geheimnisvolles, woran die Sedisvakantisten einfach vorbeigehen.

Freilich kann eines Tages, wenn die Kirche wieder bei Sinnen ist, die einzig zuständige Autorität in Rom erklären, daß alle Konzilspäpste keine Päpste gewesen waren. Doch von heute bis zu jenem Zeitpunkt sind die bisher als Beweis vorgebrachten Argumente, warum der Heilige Stuhl unbesetzt sei, nicht so schlüssig, wie man sie kann scheinen lassen.

Kyrie eleison.