moderne Welt

Sowohl – Als Auch

Sowohl – Als Auch on November 30, 2019

Da sich die Themen dieser Kommentare” im grossen Ganzen in zwei Kategorien unterteilen lassen – jene, die sich mit dem modernen Problem befassen, und jene, welche die katholische Lösung aufzeigen – wäre es sehr schade, wenn sich manche Leser zwar für das Problem, nicht aber für die Lösung, oder umgekehrt zwar für die Lösung, nicht aber für das Problem interessieren würden. Kenne ich nämlich das Problem, nicht jedoch die Lösung, kann ich nur allzu leicht der Verzweiflung anheimfallen, besonders heute, wo Gott Seinen Feinden die Erlaubnis gibt, Seine Kirche fast gänzlich zu zerstören. Andererseits gilt: Wenn meine Kenntnis der Lösung mich dazu verleitet, das Problem zu verkennen oder zu unterschätzen, besteht die Gefahr, dass mich das Problem jäh überwältigt, nachdem es meine unzureichenden Verteidigungslinien umgangen hat.

Der Heilige Paulus war der klassische Fall eines Mannes, der beides kannte und die im Neuen Testament dargebotene Lösung – Jesus Christus (Römer VII, 24–25) – nur darum so gut begriff, weil er ein glühender Pharisäer und als solcher ein anschauliches Beispiel des Problems gewesen war, nämlich dessen, was sündige Menschen aus dem Alten Testament gemacht hatten (1. Korinther XV, 8–10). Nur weil der Heilige Paulus die Machtlosigkeit des Alten Testaments zur Vergebung von Sünden direkt erfahren hatte, wurde ihm ein dermassen tiefes Verständnis der Rettung zuteil, die Christus den Menschen durch das Neue Testament gebracht hatte. Ein anderer grosser Konvertit, der zuvor viele Jahre lang im Irrtum gelebt hatte, um dann zu einem der gewaltigsten Diener der katholischen Kirche und zu einem der gewaltigsten Verkünder ihrer Wahrheit zu werden, war der Heilige Augustinus. Darum steckt in dem französischen Sprichwort „Ein Konvertit ist zwei Apostel wert“ ein gerütteltes Mass an Wahrheit.

Dies ist der Grund dafür, dass man es Katholiken heute gar nicht dringend genug empfehlen kann, die Feinde Gottes und die Art und Weise, wie sie Ihn bekämpfen, kennenzulernen, so niederträchtig sie diesen Kampf auch führen mögen. Und Nichtkatholiken tun gut daran, die katholische Kirche nicht hochmütig abzulehnen, denn so angeschlagen sie auch wirken mag, verfügt sie immer noch über die einzig wahren Lösungen für sämtliche realen, d. h. wahrhaftig menschlichen Probleme der Welt. All diese Probleme sind die vergifteten Früchte der Sünde, die sich in den Seelen der Menschen gegen Gott aufbäumt, deren Tiefe Gott allein – und nicht die Psychiater – mit Seiner Vergebung erreichen kann, was kraft Seines Ratschlusses durch Seinen göttlichen Sohn allein und durch die mit Seinem Blut geheiligte Kirche geschieht.

Nichtkatholischen Lesern dieser „Kommentare“ sei ans Herz gelegt, sich nicht nur für deren Analyse der modernen Kunst oder Politik zu interessieren, sondern auch für ihre Argumente, obwohl letztere oberflächlich gesehen als blosse Streitigkeiten zwischen Katholiken erscheinen mögen, beispielsweise bezüglich der Frage, was an Vatikan II falsch ist, oder wie die Priesterbruderschaft St. Pius XII. mehr und mehr auf die Linie von Vatikan II einschwenkt. Der Grund dafür liegt darin, dass die katholische Kirche sehr wohl die einzige wahre Lösung der wirklichen Probleme sämtlicher Leser sein mag, diese Lösung jedoch stets der Gefahr ausgesetzt ist, von sündigen Menschen konstant verfälscht zu werden, und wenn sie verfälsch wird, ist sie keine Lösung mehr, sondern ein Teil des Problems. Vatikan II war nichts anderes als der logische Höhepunkt des vielhundertjährigen Bestrebens von Menschen, den Menschen an Gottes Stelle zu setzen, und die Priesterbruderschaft St. Pius XII., die 1970 gegründet wurde, um den Irrtümern von Vatikan II die Stirn zu bieten, erliegt insbesondere seit dem Jahre 2012 mehr und mehr dem giftigen Charme dieser Irrtümer. Deswegen sollten Nichtkatholiken, die nach wahren Lösungen für die ihnen nur allzu bekannten modernen Probleme suchen, den Argumenten zu Vatikan II und der Priesterbruderschaft gebührende Beachtung schenken.

Dementsprechend sei katholischen Lesern dieser Kommentare” ans Herz gelegt, nicht nur die Argumentation in Bezug auf Vatikan II und das gefährliche Einschwenken der Bruderschaft auf den Weg der modernen Welt zu verfolgen, sondern auch den hier dargelegten Analysen dessen, was mit dieser Welt verkehrt ist, die gebotene eindringliche Aufmerksamkeit zu schenken. Denn liegt der Grund dafür, dass die Führer der Bruderschaft diesen Irrweg eingeschlagen haben, etwa nicht darin, dass sie das Problem der Moderne unterschätzt haben? Und marschieren sie, indem sie einen Krieg führen, ohne den Gegner zu kennen, etwa nicht direkt auf eine Niederlage zu? Während Erzbischof Lefebvre einst sagte, Vatikan II sei ganz und gar von Subjektivismus geprägt, hat Bischof Fellay denn einmal nicht gesagt, 95% seiner Texte seien akzeptabel? Und während der Erzbischof klar und deutlich festhielt, wer den Teufel den kleinen Finger reiche, riskiere, dass dieser gleich die ganze Hand nehme, benimmt sich nicht der Nachfolger von Bischof Fellay genau wie dieser, nämlich als glaube er, die römischen Teufel überlisten zu können? Die wirkliche Stärke des Erzbischofs war niemals seine Klugheit, sondern stets sein Glaube sowie seine Treue gegenüber der katholischen Wahrheit. Dasselbe gilt für die Bruderschaft, die er gründete. Darum mögen die katholischen Leser dieser „Kommentare“ bloss nicht denken, sie könnten die darin dargebotenen Analysen der modernen Verderbtheit ignorieren, so widerwärtig ihnen die Auseinandersetzung mit diesem Thema auch erscheinen mag. Es kann viel kosten, seinen Kopf im Sand zu verbergen.

Kyrie eleison.

Talfahrt Der Welt

Talfahrt Der Welt on November 23, 2019

Nicht nur die Priesterbruderschaft St. Pius X. ist auf der Talfahrt, sondern durch die Seelen der Menschen gleitet eine ganze Welt ab. Die antiken Griechen wußten: Von nichts kommt nichts, und so gilt auch der Spruch, daß wir ohne Stroh keine Ziegel machen können. Entsprechend hoffnungslos ist es zu erwarten, daß die Institutionen von gestern von den heutigen Menschen nicht entleert würden, wie so viele zusammengebrochene Luftballons, aus welchen die Luft gelassen wurde, veranschaulichen. Ein Beobachter, der die Fähigkeit des Denkens noch nicht verloren hat, gab auf die Frage, was er als Zukunft für den „Widerstand,“ für die Priesterbruderschaft St. Piux X., für die Kirche und für die Welt erwarte, folgende interessante Antwort:

Beim „Widerstand“ wird es keine große zahlenmäßige Zunahme geben und keine große Ernte an Seelen, weil das geeignete Material einfach nicht vorhanden ist. Wie könnte noch etwas Katholisches entstehen aus Menschen, welche wenig bis keine Ahnung mehr haben von wahr und falsch, von richtig und unrichtig, und von dem, was wirklich bekämpft werden muß? Die Wahrheit und das Rechte sind untergraben worden, und immer mehr Menschen glauben nicht mehr, daß Wahrheit oder Recht von Bedeutung sind. Erstens, weil der Mensch ein geselliges Wesen ist, welcher seine Färbung natürlich von den umgebenden Menschen annimmt, die heute in starkem Maße die Wahrheit und das Rechte aufgegeben haben. Und zweitens, weil das Leben uns so viel weniger abverlangt, wenn die Wahrheit und das Rechte unbedeutend sind. Dann können wir Menschen uns von der Strömung treiben lassen, und es gibt nichts mehr, welchem wir uns noch widersetzen müßten.

Bei der Bruderschaft wird, wenn Bischof Fellay ängstlich ist, diese Angst auf den Rest der Bruderschaft und von dort auf den Rest der Kirche sich ausbreiten, während die Bruderschaft des Erzbischof Lefebvre zu ihrer Blütezeit das Rückgrat der Kirche stärkte. Ohne diese Rückendeckung wird sich ein sanfter Konziliarismus durchsetzen mit einer hybriden Messe, welche die Tridentinische Messe mit der Neuen Messe verschmilzt, mit einer „Hermeneutik der Kontinuität,“ welche die katholische Lehre mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vermengt, und mit zweifelhaften Priestern und Riten für eine illusorische Rückkehr in die 1950er Jahre. So wird die Kirche am Ende niemanden mehr haben, welcher noch die Wahrheit sagt, und das „Licht der Welt“ wird nur noch ein schwaches Leuchten abgeben, während das „Salz der Erde“ so schal sein wird, daß es die universelle Verderbnis nicht mehr verhindern kann.

Folglich wird die Welt immer entarteter und mutwillig künstlicher werden, weil früher die Kirche durch die Gnade in den Seelen der Menschen der übernatürliche Beschützer von allem Natürlichen in Gottes Schöpfung war. In dieser Neuen Weltordnung werden selbst die Überreste der wahren Kirche weiterhin verfolgt, durch die heutige passiv-aggressive Einschüchterung. Denn unter dem Schein passiver Duldung herrscht heute in Wirklichkeit ein unerbittlicher Druck zur Gleichschaltung, gemäß der Vorgabe: „Seien Sie bittepolitisch korrekt’, wie alle anderen, sonst stempeln wir Sie zum Ausgestoßenen.“ Diesem Druck von außen entspricht eine geheimnisvolle innere Schwäche der modernen Seele, die sich an keiner Wahrheit festhalten will. Der Teufel betritt dann die natürliche Ebene und läßt den Verstand der Menschen nach links schwingen, weg von Gott, was die Katholiken an sich selber zweifeln läßt, etwa nach folgendem Muster: „Wer bin ich zu behaupten, daß Erzbischof Lefebvre Recht hatte? Waren seine Feinde wirklich böse? Wer bin ich, dies zu beurteilen?“ Diesem Geisteszustand fällt der Verrat sehr leicht . . .

Das Konzil der 1960er Jahre hat die Verwirrung der 1970er Jahren entfacht und seither ein weiteres halbes Jahrhundert Zeit gehabt, sich auszubreiten, während die Priesterbruderschaft St. Pius X. seit den letzen 20 Jahren heimlich für den Feind arbeitet . . .

Diese Zukunftsvision ist dunkel, doch auf rein menschlicher Ebene eine realistische Prognose. Glücklicherweise ist Gott Gott, er existiert tatsächlich, und seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken, und seine Wege nicht unsere Wege, wie die Schrift sagt: „So hoch der Himmel über der Erde steht, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken!“ (Jesaja 55,8–9). Dieser Gott wird auch nicht durch die Machenschaften der Menschen scheitern: „So steht es auch mit meinem Wort, das von meinem Munde ausgeht. Es kehrt nicht erfolglos zu mir zurück, ohne daß es vollbracht, was ich wollte, und durchgeführt, wozu ich es sandte. Denn in Freuden sollt ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden! Die Berge und Hügel brechen vor euch in Jubel aus, alle Feldbäume spenden Beifall! Statt des Dornstrauchs wächst die Zypresse, statt der Nessel die Myrte. Dem Herrn gereicht dies zum Ruhm, zum ewigen Zeichen, das unausrottbar ist!“ (Jesaja 55,11–13).

Kyrie eleison.

Ibsens Rosmersholm

Ibsens <i>Rosmersholm</i> on September 28, 2019

Henrik Ibsen (1828–1906) war ein berühmter norwegischer Dramatiker, den man oft ehrend als Vater des modernen Dramas bezeichnet. Er war kein Katholik, sprach aber eine grosse Wahrheit aus, und wie St. Augustinus einst sagte, gehören alle Wahrheiten den Katholiken (weil ihr Gott „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist). Aus diesem Grund können Katholiken Wahrheiten, die von Nichtkatholiken ausgesprochen werden, manchmal sogar noch mehr schätzen als Nichtkatholiken. Die grosse Wahrheit Ibsens besteht darin, dass sogar im prüden und heuchlerischen Norwegen des späten 19. Jahrhunderts, wo das Leben und die Freude unter einem Bleigewicht sterbender Traditionen erstickt wurden, sich der menschliche Geist protestierend erhob und den Tod einer Existenz vorzog, die ohne sichtbare Freiheit und ohne erkennbaren Sinn in einer Sackgasse steckte.

Veranschaulichen wir diesen Protest anhand dreier Schauspiele aus Ibsens späterer Phase, in der er den Schwerpunkt vom Drama der modernen Gesellschaft auf jenes des Individuums verlagert. Rosmersholm (1886) endet damit, dass der Held und seine geliebte Frau gemeinsam in den Tod gehen. In Baumeister Solness (1892) stürzt die Titelfigur am Schluss von einem hohen Turm, den zu erklimmen von Anfang ein selbstmörderisches Unterfangen war. In John Gabriel Borkman (1896) erfriert der Protagonist bei einem ebenfalls buchstäblich selbstmörderischen Versuch, einen eisigen Berghang zu erklettern. Doch in allen drei Fällen kämpfte der Held für die Freiheit des menschlichen Geistes gegen eine Welt, die diesen Geist erstickt. Werfen wir nun einen näheren Blick auf eines dieser Dramen, Rosmersholm, das kürzlich mit grossem Erfolg in London aufgeführt wurde. Ibsen lebt!

Jedes Drama benötigt eine dramatische Konfrontation. Bei dieser Konfrontation steht in Rosmersholm auf der einen Seite die alte Welt der Familie Rosmer und ihres Herrenguts, das in den vergangenen 200 Jahren hervorragende Soldaten und Geistliche hervorgebracht hat, welche der ganzen Region als Vorbild dienten und eine Führungsrolle spielten; auf der anderen Seite steht die aufsteigende neue Welt der Emanzipation und Freiheit von all diesen alten Werten. Die zentrale Gestalt des Schauspiels ist der letzte Spross dieses edlen Geschlechts, Johannes Rosmer, ein ehemaliger Pfarrer, der jedoch seinen christlichen Glauben verloren hat und nun zwischen den beiden Welten hin- und hergerissen ist. Verkörpert wird der Gegensatz zwischen den beiden Lagern durch zwei Männer – Dr. Kroll, einen kaltherzigen Konservativen, der versucht, Norwegen vor dem überall vordringenden Liberalismus zu retten, dessen eigene Frau und Kinder jedoch zu den Liberalen übergegangen sind, und dem Herausgeber der lokalen radikalen Zeitung, Mortensgaard, der bei seinen Versuchen, Rosmer auf seine Seite zu ziehen, wenigstens ebenso anrüchig vorgeht wie Kroll. Rosmer selbst hat sich zumindest theoretisch für die neue Welt der Freude und Freiheit gewinnen lassen, und zwar durch die entzückende junge Frau Rebekka West, die jahrelang seine platonische Gefährtin gewesen ist.

Das Drama erreicht seinen Höhepunkt, als Rosmer gegenüber Kroll bekennt, dass er seinen Glauben verloren hat und beabsichtigt, sich öffentlich für die Liberalen zu engagieren. Kroll versucht mit allen – lauteren und unlauteren – Mitteln zu verhindern, dass Rosmer seine Person und seinen Ruf in die Waagschale wirft, um den moralischen Zerfall zu unterstützen. Von Kroll unter Druck gesetzt, begreift Rebekka, dass sie in ihrem Kampf, Rosmer von seinem edlen, aber drückend auf ihm lastenden Erbe zu befreien, selbst von diesem Erbe, nämlich Rosmersholm, besiegt worden ist. Am Ende sehen Johannes und Rebekka keinen anderen Weg mehr, sowohl die neue Freiheit als auch die alte edle Tradition zu retten, als sich gemeinsam in den reissenden Mühlbach von Rosmersholm zu stürzen. Somit lautet Ibsens Botschaft: Die alte edle Tradition ist freudlos, der neue Konservatismus herzlos, und die neue Emanzipation ist nicht besser. Als scheinbar einziger Ausweg bleibt dem unglücklichen Paar nur noch der Tod.

Ist das alles finsterer Unsinn, dem die heutigen Katholiken nichts abgewinnen können? Keineswegs; es ist ein realistisches Porträt unserer Zeit. Wenn der Glaube stirbt, wie bei Rosmer und bei Milliarden von Seelen in unseren Tagen, vermag der Konservatismus letzten Endes nichts mehr zu bewahren, und eine linke Ideologie (Mortensgaard) vermag nicht mehr, als gottloses Benzin in ein gottloses Feuer zu giessen. Der Emanzipation (Rebekka) fehlt dauerhafte Schlagkraft, und der liberale Todeswunsch gewinnt die Oberhand. Wenn jemand wie Rosmer das Leben will, ja sogar Leben im Überfluss (Johannes X, 10), dann muss er in sich selbst den Glauben seiner wahrhaft edlen Ahnen erwecken, was bedeutet, dass er noch weiter gehen muss als selbst die besten unter seinen protestarischen Vorfahren, nämlich zurück zu den Katholiken, die Norwegen christlich gemacht haben. Lasst Rosmer wahrhaft katholisch werden, und dann werden Kroll, Mortensgaard und Rebekka die wahre Lösung erblicken können, und die ganze Region kann wieder im Lichte Christi aufleuchten.

Kyrie eleison.

„Postmoderne“ – II

„Postmoderne“ – II on August 31, 2019

Auf die Gefahr hin, den einen oder anderen Leser mit neuen Variationen des Themas „Wahrheit“ zu ermüden, gehen diese „Kommentare“ nochmals auf Wojciech Niemczewskis Kultur als Religion; die postmoderne Interpretation des Verhältnisses zwischen Kultur und Religion ein, dessen Grundgedanken hier letzte Woche resümiert wurden. Denn wir müssen in der Tat unsere Seelen retten, und eine grosse Gefahr, die all unsere Bemühungen zunichte zu machen droht, ist die Verblendung unserer höchsten Gabe, des Geistes, auf die sofort die Verderbnis des Herzens folgt. Und die grösste Gefahr für unseren Geist ist heute die allgemein verbreitete Vorstellung, dass Ideen keine Rolle spielen und die Wahrheit nicht wichtig ist. Man rufe sich in Erinnerung, wie Vatikan II den Modernismus dem treuen Katholizismus vorzog, insbesondere in dem Konzilsdokument Gaudium et Spes, und wie die Priesterbruderschaft St. Pius X. später den Konzilsrömern den Vorzug vor ihrem treuen Gründer gab, und wie die grosse Mehrheit der Priester und Laien den verhängnisvollen Kurswechsel in beiden Fällen mitmachte.

Beginnen wir damit, Niemczewskis Gedanken in ihrer logischen Reihenfolge darzulegen, um zu erkennen, woher er kommt und auf welches Ziel er zusteuert. 1. Es gibt keinen objektiven Gott, weil „Gott“ eine subjektive Fabrikation innerhalb eines jeden von uns ist. 2. Deswegen besitzen die alten „Wahrheiten“ der gestrigen Religion und Philosophie kein Fundament mehr; 3. Ausserdem passen sie nicht mehr zu der realen Welt von heute, die sich auf allen Gebieten ändert, und zwar rascher denn je zuvor; 4. Schlimmer noch, sie blockieren de facto den modernen Fortschritt, oder die „Kultur der Wahl,“ die es uns ermöglicht, uns dem Wandel anzupassen, und die jedem von uns die Freiheit garantiert, seine Lebensstil selbst festzulegen; 5. Um der Postmoderne gegenüber anpassungsfähig zu bleiben, muss der postmoderne Mensch diese nicht-universelle und unverbindliche „Kultur der Wahl“ akzeptieren, die dem Menschen weder Normen auferlegt noch ihn dazu verpflichtet, an ein höheres Wesen zu glauben; 6. Als logische Folge all dessen muss die Wahrheit der Freiheit, die Religion der Kultur und die Richtung der Richtungslosigkeit weichen; 7. Darum nieder mit der Wahrheit, hoch lebe die „Kultur der Wahl“!

Zum Unglück des postmodernen Menschen gibt es eine Realität ausserhalb seines Geistes, die ihm so nahe ist wie seine eigenen Arme und Beine, und diese äussere Realität hat ihre eigenen Gesetze, die in keiner Weise von seinem Geist abhängen. Hat er beispielsweise Zahnschmerzen, so wird er zum Zahnarzt gehen müssen und nicht zum Fischhändler. Und diese Gesetze sind nicht nur physisch, sondern auch moralisch. Wenn etwa ein armes Mädchen eine Abtreibung durchführen lässt, wird es ihm nicht gelingen, seine Gewissensbisse aus der Welt zu schaffen, mag es dies auch noch so sehr wünschen. Wir Menschen verfügen alle über einen freien Willen – was bedeutet, dass Niemczewskis „Kultur der Wahl“ eine Möglichkeit ist – aber diese Kultur der Wahl kann nur innerhalb und nicht ausserhalb des strukturierten Rahmens der aussermentalen Realität liegen, sowohl physisch als auch moralisch. So bin ich z.B. frei, mich für eine Ewigkeit im Himmel oder in der Hölle zu entscheiden, aber ich bin nicht frei, die moralischen Gesetze schwer zu verletzen und trotzdem in den Himmel zu kommen.

Die alten Griechen erreichten ihren kulturellen Höhepunkt schon Jahrhunderte vor der Menschwerdung unseres Herrn, so dass sie nicht in den Genuss einer übernatürlichen Gnade oder Offenbarung kamen. Doch auf ganz natürlichem Wege beobachteten – nicht „erfanden“ – sie die schwerwiegenden und unvermeidlichen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn die Menschen gegen die moralische Struktur des menschlichen Lebens rebellieren, und sie gaben dieser Rebellion einen Namen – „Hybris“; heute würden wir von „Hochmut“ sprechen. Somit beginnt Niemczewskis Darstellung der „Kultur der Wahl“ mit der Leugnung Gottes und endet mit seiner Herausforderung, doch auch wenn er den Geist der Menschen zugunsten seiner „Kultur der Wahl“ verformen mag, liegt es nicht in seiner Macht, die ewige und unaussprechliche Existenz Gottes oder die ewige und absolute Notwendigkeit der Wahrheit zu verformen. Wenn es beispielsweise so etwas wie eine Wahrheit nicht gibt, dann ist zumindest dies eine Wahrheit. Somit ist bei der Verleugnung irgendeines Dogmas – oder aller Dogmen – keiner so dogmatisch wie die Freimaurer und bei ihrer subjektiven Unterminierung aller Doktrin niemand so doktrinär wie die Modernisten und Neomodernisten.

Kurz gesagt: Ein Mann wie Niemczewski weigert sich, anzuerkennen, dass die Arena der menschlichen Wahl von einem Ring der Realität umgeben ist, die nicht von der Wahl des Menschen abhängt. Die Prälaten von Vatikan II lehnen es ab, anzuerkennen, dass das offenbarte Glaubensgut nicht modernisiert werden kann. Und die Führer der Neubruderschaft St. Pius X. wollen nicht anerkennen, dass die Konzilsrömer Schacher mit der Phantasie treiben. Die „Kultur der Wahl“ wird sie alle teuer zu stehen kommen. Es mag sie ihre Ewigkeit kosten, wenn sie nicht wieder zu ihren katholischen Sinnen kommen.

Kyrie eleison.

„Postmoderne“? – I

„Postmoderne“? – I on August 24, 2019

Immer wieder stösst man auf die Wörter „postmodern“ und „Postmoderne,“ und man fragt sich, was sie bedeuten oder worauf sie sich beziehen. Eine vernünftige Annahme ist, dass mit der „Moderne“ jene Periode der Weltgeschichte gemeint ist, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs anno 1945 einsetzte, als die Zivilisation den Ruinen entsteig und einen neuen Kurs einschlagen musste. Doch mittlerweile liegt das Jahr 1945 fast dreiviertel Jahrhunderte zurück, und 74 Jahre sind eine so lange Zeit, dass die Welt sich unmöglich fortbewegen konnte, ohne sich zu etwas Neuem zu entwickeln – die Welt dreht sich zwar immer, „Volvitur orbis,“ doch noch niemals scheint sie sich rascher gedreht zu haben als in unserem 21. Jahrhundert. Darum ist das, wozu sie sich entwickelt hat, „postmodern.“

Selbstverständlich drängt sich hier die Frage auf, wozu sie sich denn entwickelt hat. Und da gilt es auf ein Buch hinzuweisen, das sehr wohl den wahren Kern der „Postmoderne“ enthüllen könnte: Kultur als Religion: Die postmoderne Interpretation zwischen Kultur und Religion von Wojciech Niemczewski. Hier eine zwei Absätze umfassende Zusammenfassung von Niemczewskis These:

Wir leben in einem Zeitalter aller möglicher Wandlungen, aber die alten religiösen und philosophischen Prinzipien bremsen den Fortschritt und passen nicht mehr zu der Realität um uns herum, die sich rascher denn je zuvor wandelt. Wir erleben nunmehr die „Kultur der Wahl,“ welche all jene kulturellen Elemente umfasst, die wir vermischen können, um unsere eigene Vision der Welt zusammenzusetzen. Die sich uns bietende Möglichkeit der Wahl zwischen ihnen wird dann zum Zeichen der Freiheit um den Preis des alten Elements der Wahrheit. Dies erlaubt uns, dem modernen Leben jederzeit uns anpassen zu können.

Als Ergebnis auferlegt uns diese postmoderne Kultur keine Normen, keine Verpflichtungen, keine Verantwortung gegenüber dem Leben an sich. Sie reicht auch nicht über dieses Leben hinaus, denn Gott mag zwar existieren, aber lediglich innerhalb unser selbst; in Tat und Wahrheit hängt er von uns ab! Der postmoderne Mensch will im Gleichschritt mit seiner Zeit marschieren, d. h. deren Bewegung und Wandel mitvollziehen. Doch wohin führen diese endlose Bewegung und dieser endlose Wandel? Er hat keine Ahnung davon, weil er sich selbst der Fähigkeit beraubt hat, zu definieren, wo er hinsteuert. Deshalb gilt: Selbst wenn Menschen an der Tradition festhalten, kann sich diese nur allzu leicht in dieser neuen Kultur auflösen.

Zur Zeit Noahs – siehe Genesis VI-IX, insbesondere VI, 1–13 – war die Menschheit so verdorben, dass der Allmächtige Gott, um noch eine nennenswerte Zahl von Seelen retten zu können, eine weltweite Strafe verhängen musste, die wenigstens einer Minderheit der Menschen Motivation und Zeit geben würde, um einen glaubhaften Akt der Reue zu vollziehen. Und angesichts der Erbsünde ist es logisch, dass einzig und allein Eingriffe Gottes den Hang des Menschen zum Sturz verlangsamen oder umkehren würden. Natürlich war der grösste dieser Eingriffe Gottes eigene Menschwerdung, aber „je höher einer steht, desto tiefer fällt er“ und so war es nach fast 2000 Jahren voraussehbar, dass der Zustand der Menschheit schlimmer als je sein würde, wenn Gott dies zuliess. Nun aber hat er, wie aus Lukas XVIII, 8 klar hervorgeht, von Ewigkeit an entschieden, das fast völlige Verschwinden der Kirche Seines Sohnes vor dem Ende der Welt zu erlauben. Welche Form wird dieses Verschwinden annehmen? Wir können es heute in Niemczewskis Beschreibung der „neuen Kultur“ erblicken.

Seine Schilderung veranlasst uns dazu, folgende Unterscheidung zwischen „modern“ und „postmodern“ zu treffen: „Modern“ ist die allumfassende Kultur des Nihilismus, der sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ausbreitete – aus Herz und Geist sind sämtliche Überzeugungen, Glaube, Hoffnung und Vertrauen geschwunden, doch sind Herz und Geist selbst noch nicht der Auflösung anheimgefallen, und es existiert immer noch ein schmerzliches Gefühl für das, was verloren gegangen ist. „Postmodern“ ist hingegen die logische Konsequenz dieses Schmerzens, nämlich die Selbstzerstörung der Reste von Herz und Geist durch den Willen, so dass der Schmerz nicht länger empfunden wird. Ich verzichte bewusst auf die Wahrheit, damit mein Geist in einem Lotusland lieblicher Lügen schwebt, die ich nicht mehr als Lügen zu durchschauen vermag, und mein Herz treibt ziellos in einem Traumland trügerischer Begierden umher, wo alles sanft und süss ist und es immer sein wird.

Doch „Eine Tatsache ist stärker als der Bürgermeister“ lautet ein englisches Sprichwort. Gewiss, eine Masse moderner Geister und Herzen hat das Schiff aus der Vertäuung losgerissen und will von Tradition und Sitte nichts mehr wissen, doch Wind und Gezeiten bleiben Wind und Gezeiten, wie zumindest die unveränderlichen Feinde des unveränderlichen Gottes niemals vergessen. Sie wollen alle realen Seelen der realen Hölle überantworten. Wenn Gottes Freunde nur ebenso viel Sinn für die Realität hätten!

Kyrie eleison.

Weitere Unterminierung

Weitere Unterminierung on Juli 13, 2019

Diese Kommentare haben schon mehr als einmal die Internet-Website des Amerikaners Dr. Paul Craig Roberts empfohlen, auf der dieser sich zu den weltweiten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen äussert. Jene umfassende Sicht der Dinge, die nur die eine wahre Religion vermitteln kann, mag Dr. Roberts zwar fehlen, doch in weltlichen Fragen erkennt er die Wahrheit sehr oft mit grosser Schärfe, und er verkündet sie auf seiner Website – paulcraigroberts.org – so mutig und beharrlich, dass man sich fragt, wann er von Mörderhand sterben wird. Doch ein Mord hinterlässt regelmässig Blutspuren, und wer den Verkünder einer Botschaft ermordet, läuft stets Gefahr, dieser Botschaft Gehör zu verleihen. Wie dem auch sei, Dr. Roberts Artikel werden von unzähligen Menschen in aller Welt gelesen, und einer seiner jüngsten Artikel erhärtet auf höchst praktischer Ebene, wie Recht Pater Calderón hat, wenn er seine Dissektion des „neuen Menschen“ von Vatikan II (siehe diese „Kommentare“ vom 22. Juni) mit dem Subjektivismus beginnt. Denn auch Dr. Roberts weist darauf hin, wie der moderne Mensch durch den Subjektivismus von der objektiven Wahrheit abgeschnitten wird. Ein typisches Beispiel für diesen Prozess liefert er in einem Artikel, den wir hier zusammenfassen.

Er beginnt mit einem Zitat der von Wahrheitssuchern betriebenen Website Zero Hedge, der zufolge „die Fähigkeit zur Fälschung der Realität in geradezu schwindelerregendem Tempo wächst. Gedankenlose Techno-Freaks haben mittlerweile eine Technologie entwickelt, die dazu führt, dass man eine falsche Realität nicht mehr von der wirklichen Realität unterscheiden kann. Ich glaube nicht, dass wir hierauf auch nur einigermassen zufriedenstellend vorbereitet sind. Und ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit sich bewusst ist, was auf sie zukommt,“ sagte der Vorsitzende des US-Kongresskomitees für nachrichtendienstliche Fragen im Rahmen seiner Äusserungen zum raschen Fortschritt der synthetischen Technologie. Die Fähigkeiten der neuen künstlichen Intelligenz ermöglichen es kompetenten Programmierern, Audios und Videos herzustellen, in denen jede beliebige Person jede beliebige Äusserung von sich geben kann. Diese Kreationen werden „Deepfakes“ genannt und lassen sich, so empörend und absonderlich sie auch sein mögen, dem Anschein nach nicht mehr von real getätigten Aussagen unterscheiden. Kaum haben wir uns an eine Welt gewöhnt, in der unsere Realität falsch anmutet, werden Dinge, die falsch sind, zu unserer Realität.

„Wir sind zahlenmässig hoffnungslos unterlegen“, sagte ein digital-forensischer Experte von der kalifornischen Universität Berkeley. „Auf eine Person, die heute an der Entdeckung von Deepfakes arbeitet, kommen hundert, die sich mit Videosynthese beschäftigen.“ Schon zwei Drittel der Amerikaner sagen, dass verfälschte Bilder und Videos zum schwerwiegenden Hindernis für das Verständnis der grundsätzlichen Fakten des Zeitgeschehens geworden sind. Forscher, die sich mit dem Phänomen der Desinformation befassen, warnen vor einer zunehmenden „Realitätsapathie“: Angesichts der Anstrengungen, die es erfordert, zwischen Realität und Fälschung zu unterscheiden, werfen wir die Flinte ins Korn und verlassen uns auf unsere grundlegenden Instinkte, unsere ethnische Zugehörigkeit, unsere Impulse. Da wir von unseren Führern nach Strich und Faden betrogen werden, glauben wir schliesslich an gar nichts mehr.

Ein Beispiel: Zwei Öltanker gingen in Flammen auf; von ihnen stiegen Rauchwolken empor. Wie auf ein Stichwort hin erschien auf einem unscharfen Video ein verdächtiges Boot der iranischen Revolutionären Garden. Virale Bilder überfluteten die neun Milliarden Bildschirme, die es auf der Erde gibt. Jede Seite erzählte eine andere Geschichte. Keiner wusste genau, wem er trauen sollte. Verschwörungstheorien schossen ins Kraut, während sich jeder von uns an das klammerte, woran er am liebsten glauben wollte. https://​www.​zerohedge.​com/​news/​2019-06-16/​hedge-fund-cio-i-dont-think-public-aware-whats-coming Dr Roberts fährt fort: Warum verwenden diese Technofreaks ihren ganzen Ehrgeiz darauf, eine Technologie zu entwickeln, die es noch schwerer macht, die Wahrheit herauszufinden? An welchem charakterlichen Gebrechen leiden diese Menschen, dass sie Methoden erfinden, durch die man die Fähigkeit zur Erkenntnis der Wahrheit zerstören kann? Inwiefern unterscheiden sie sich eigentlich von einer Person, die eine verderbliche unentdeckbare Substanz freisetzt und dadurch Leben auslöscht? Der einzige Nutzen dieser Technologie besteht darin, dem Polizeistaat eine vollständige Kontrolle zu erlauben. Es ist heute möglich, jedem beliebigen Menschen Worte in den Mund zu legen, die er nie gesagt hat, und Taten zuzuschreiben, die er nie begangen hat, und ihn aufgrund der fabrizierten Beweise des angeblich verübten Verbrechens zu überführen. Ohne Wahrheit gibt es keine Freiheit, kein unabhängiges Denken und kein Bewusstsein. Es gibt nur die Matrix. Wie konnte Amerika so weit vom rechten Wege abkommen, dass Korporationen, Investoren und Wissenschaftler zur Entwicklung wahrheitszerstörender Technologie motiviert sind? Die schwierigste Sache auf der Welt ist es heute, die Wahrheit zu ermitteln. Und Dr. Roberts Artikel endet mit einer Bitte um Unterstützung, die er sicherlich verdient.

Leser, klammert euch mit all euren Kräften an der Wahrheit fest, denn sie wird rasch unterminiert, während die Welt der Freiheit, zu tun, was einem gerade beliebt, den Vorzug vor der Wahrheit und der Phantasie den Vorzug vor der Realität einräumt. Die Folgen werden für uns alle menschlich verheerend sein.

Kyrie eleison.