Kulturen

„Postmoderne“ – II

„Postmoderne“ – II on August 31, 2019

Auf die Gefahr hin, den einen oder anderen Leser mit neuen Variationen des Themas „Wahrheit“ zu ermüden, gehen diese „Kommentare“ nochmals auf Wojciech Niemczewskis Kultur als Religion; die postmoderne Interpretation des Verhältnisses zwischen Kultur und Religion ein, dessen Grundgedanken hier letzte Woche resümiert wurden. Denn wir müssen in der Tat unsere Seelen retten, und eine grosse Gefahr, die all unsere Bemühungen zunichte zu machen droht, ist die Verblendung unserer höchsten Gabe, des Geistes, auf die sofort die Verderbnis des Herzens folgt. Und die grösste Gefahr für unseren Geist ist heute die allgemein verbreitete Vorstellung, dass Ideen keine Rolle spielen und die Wahrheit nicht wichtig ist. Man rufe sich in Erinnerung, wie Vatikan II den Modernismus dem treuen Katholizismus vorzog, insbesondere in dem Konzilsdokument Gaudium et Spes, und wie die Priesterbruderschaft St. Pius X. später den Konzilsrömern den Vorzug vor ihrem treuen Gründer gab, und wie die grosse Mehrheit der Priester und Laien den verhängnisvollen Kurswechsel in beiden Fällen mitmachte.

Beginnen wir damit, Niemczewskis Gedanken in ihrer logischen Reihenfolge darzulegen, um zu erkennen, woher er kommt und auf welches Ziel er zusteuert. 1. Es gibt keinen objektiven Gott, weil „Gott“ eine subjektive Fabrikation innerhalb eines jeden von uns ist. 2. Deswegen besitzen die alten „Wahrheiten“ der gestrigen Religion und Philosophie kein Fundament mehr; 3. Ausserdem passen sie nicht mehr zu der realen Welt von heute, die sich auf allen Gebieten ändert, und zwar rascher denn je zuvor; 4. Schlimmer noch, sie blockieren de facto den modernen Fortschritt, oder die „Kultur der Wahl,“ die es uns ermöglicht, uns dem Wandel anzupassen, und die jedem von uns die Freiheit garantiert, seine Lebensstil selbst festzulegen; 5. Um der Postmoderne gegenüber anpassungsfähig zu bleiben, muss der postmoderne Mensch diese nicht-universelle und unverbindliche „Kultur der Wahl“ akzeptieren, die dem Menschen weder Normen auferlegt noch ihn dazu verpflichtet, an ein höheres Wesen zu glauben; 6. Als logische Folge all dessen muss die Wahrheit der Freiheit, die Religion der Kultur und die Richtung der Richtungslosigkeit weichen; 7. Darum nieder mit der Wahrheit, hoch lebe die „Kultur der Wahl“!

Zum Unglück des postmodernen Menschen gibt es eine Realität ausserhalb seines Geistes, die ihm so nahe ist wie seine eigenen Arme und Beine, und diese äussere Realität hat ihre eigenen Gesetze, die in keiner Weise von seinem Geist abhängen. Hat er beispielsweise Zahnschmerzen, so wird er zum Zahnarzt gehen müssen und nicht zum Fischhändler. Und diese Gesetze sind nicht nur physisch, sondern auch moralisch. Wenn etwa ein armes Mädchen eine Abtreibung durchführen lässt, wird es ihm nicht gelingen, seine Gewissensbisse aus der Welt zu schaffen, mag es dies auch noch so sehr wünschen. Wir Menschen verfügen alle über einen freien Willen – was bedeutet, dass Niemczewskis „Kultur der Wahl“ eine Möglichkeit ist – aber diese Kultur der Wahl kann nur innerhalb und nicht ausserhalb des strukturierten Rahmens der aussermentalen Realität liegen, sowohl physisch als auch moralisch. So bin ich z.B. frei, mich für eine Ewigkeit im Himmel oder in der Hölle zu entscheiden, aber ich bin nicht frei, die moralischen Gesetze schwer zu verletzen und trotzdem in den Himmel zu kommen.

Die alten Griechen erreichten ihren kulturellen Höhepunkt schon Jahrhunderte vor der Menschwerdung unseres Herrn, so dass sie nicht in den Genuss einer übernatürlichen Gnade oder Offenbarung kamen. Doch auf ganz natürlichem Wege beobachteten – nicht „erfanden“ – sie die schwerwiegenden und unvermeidlichen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn die Menschen gegen die moralische Struktur des menschlichen Lebens rebellieren, und sie gaben dieser Rebellion einen Namen – „Hybris“; heute würden wir von „Hochmut“ sprechen. Somit beginnt Niemczewskis Darstellung der „Kultur der Wahl“ mit der Leugnung Gottes und endet mit seiner Herausforderung, doch auch wenn er den Geist der Menschen zugunsten seiner „Kultur der Wahl“ verformen mag, liegt es nicht in seiner Macht, die ewige und unaussprechliche Existenz Gottes oder die ewige und absolute Notwendigkeit der Wahrheit zu verformen. Wenn es beispielsweise so etwas wie eine Wahrheit nicht gibt, dann ist zumindest dies eine Wahrheit. Somit ist bei der Verleugnung irgendeines Dogmas – oder aller Dogmen – keiner so dogmatisch wie die Freimaurer und bei ihrer subjektiven Unterminierung aller Doktrin niemand so doktrinär wie die Modernisten und Neomodernisten.

Kurz gesagt: Ein Mann wie Niemczewski weigert sich, anzuerkennen, dass die Arena der menschlichen Wahl von einem Ring der Realität umgeben ist, die nicht von der Wahl des Menschen abhängt. Die Prälaten von Vatikan II lehnen es ab, anzuerkennen, dass das offenbarte Glaubensgut nicht modernisiert werden kann. Und die Führer der Neubruderschaft St. Pius X. wollen nicht anerkennen, dass die Konzilsrömer Schacher mit der Phantasie treiben. Die „Kultur der Wahl“ wird sie alle teuer zu stehen kommen. Es mag sie ihre Ewigkeit kosten, wenn sie nicht wieder zu ihren katholischen Sinnen kommen.

Kyrie eleison.

Die Bedeutung der Kultur – II

Die Bedeutung der Kultur – II on Dezember 30, 2017

Wenden wir uns nochmals dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu. Von ihm stammen nämlich gewisse politisch inkorrekte, dafür aber von gesundem Menschenverstand zeugende Bemerkungen zum Begriff der „Kultur,“ die er im weitesten, aber wirklichen Sinne als Werte, Richtlinien und Lebensart verschiedener Völker auf nationaler und internationaler Ebene betrachtet. Die Feinde des Menschen und Gottes wollen sämtliche Nationen zu einem globalen Völkerbrei vermengen, der für ihren Antichristen in der von ihnen erträumten weltweiten Tyrannei viel leichter zu beherrschen sein wird. Der liebe Gott hingegen begründet durch Seine Schöpfung eine erstaunliche Mannigfaltigkeit, weil die geordnete Vielfalt Seiner Geschöpfe Seine eigene unendliche Vielfalt am besten widerspiegelt. Freilich setzt eine geordnete Vielfalt eine Hierarchie voraus, in anderen Worten Ungleichheit. Dies ist der Grund dafür, dass Seine Feinde alles Menschliche im Namen der Gleichheit nivellieren wollen; „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ lautet ihr vielleicht bekanntestes Schlagwort. Katholiken hingegen müssen wünschen, dass alle Geschöpfe so mannigfaltig und ungleich sind, wie ihr Schöpfer dies gewollt hat. Putin steht in dieser Hinsicht auf der Seite des lieben Gottes.

Hier einige Auszüge aus einer Ansprache, die er im Oktober dieses Jahres vor Teilnehmern an den 19. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Sotschi, Russland, hielt:—

http://​en.​kremlin.​ru/​events/​president/​news/​55842

Indien hat eine Bevölkerung von 1,2 Millionen und China eine von 1,5 Millionen. Was die USA betrifft, so nehmen diese auch weiterhin immer mehr Immigranten auf, und soweit ich weiss, ist die weisse, christliche Bevölkerung dort kürzlich zur Minderheit geworden, weniger als 50% der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten. Was ich sagen möchte, ist, dass die Welt einen dramatischen, globalen Wandel durchmacht. Ich sage nicht, dies sei gut oder schlecht, sondern nur, dass globale Veränderungen stattfinden.

Sie haben gesagt, Russland sei ein gewaltiges Land. Das ist es in der Tat. Doch ist es von seinen westlichen bis zu seinen östlichen Grenzen ein eurasisches Land. In Bezug auf Kultur, ja Sprache, Sprachgruppe und Geschichte, ist es zweifellos insofern ein europäischer Raum, als es von Menschen europäischer Kultur bewohnt wird. Dies sage ich, weil es das ist, was wir bewahren müssen, wenn wir in der Welt ein wichtiges Zentrum bleiben wollen – und ich meine dies nicht in militärischem oder einem anderen solchen Sinne. Wir sollten Völker nicht nach ihrer Ethnizität einteilen, und wir sollten nicht in die Geschichte zurückblicken, indem wir beispielsweise an den Krieg zwischen Frankreich und Russland von 1812 bis 1814 denken; vielmehr sollten wir vorwärts in die Zukunft blicken und nach Wegen suchen, um eine gemeinsame Zukunft aufzubauen und einen gemeinsamen Pfad einzuschlagen.

Auf diese Weise können wir Russland und sein Volk als globales Zentrum bewahren, das wichtig für die Beziehungen mit den asiatischen Ländern und dem amerikanischen Kontinent ist. Wenn wir es nicht fertig bringen, Russland zu erhalten, wird es in kleinere, quasi-nationale Verbindungen von Staaten zerfallen, die schliesslich ihre globale Bedeutung als unabhängige Zentren einbüssen würden. Bewahren wir Russland, so wird dies auch ein grosser Vorteil für die Entwicklung der ganzen Menschheit sein, weil Russland ein entscheidend wichtiger Bestandteil der globalen Kultur ist und auf jeden Fall bewahrt werden muss.

In der Tat. Ein entscheidend wichtiger Teil der menschlichen Kultur bestand stets in der Literatur, den bildenden Künsten und der Musik, weil Menschen aller Zeiten und Länder ganz besonders Geschichten, Bilder und Musik benötigen, um auszudrücken und mit anderen zu teilen, was in ihnen vorgeht. Darum sind das Theater und der Film, die alle drei Kunstformen zu vereinigen vermögen, dermassen einflussreich, heute besonders der Film. Auf dem Gebiet der Literatur kann sich Russland einer erheblichen Zahl weltberühmter Schriftsteller rühmen: Puschkin, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Solschenizyn etc. Auf dem Feld der Musik hat es geniale Komponisten wie Tschaikowski und Rimski-Korsakow hervorgebracht; in der Filmkunst sind Eisenstein und Tarkowski weltweit zu Ruhm gelangt.

Putin hat recht: Russland, das Land der langen Winter und tiefen Denker, hat zur Weltkultur enorm viel beizutragen, das von ungleich höherem Wert ist als der Haufen demokratischen Schrotts, der heutzutage zum Ausdruck bringt, was im Inneren des gottlosen Menschen vor sich geht.

Beten wir für Putin, damit er nicht ermordet werde, denn Gottes Feinde hassen ihn, und zwar nicht ohne Grund: Er führt sein Land seiner Weihung an das Unbefleckte Herz Mariä entgegen, was die Ankunft des Antichristen wenigstens für einige Zeit verzögern wird. Möge die Muttergottes ihn beschützen!

Kyrie eleison.

Die Bedeutung der Kultur – I

Die Bedeutung der Kultur – I on Dezember 16, 2017

„Wenn ich das Wort ‚Kultur’ höre, greife ich zu meinem Revolver“ ist ein bekannter Ausspruch (er wird oft Reichsmarschall Göring zugeschrieben, stammt aber in Wirklichkeit aus einem Berliner Theaterstück von 1933), der sich so deuten lässt, dass die Kultur nicht die eigentliche Quelle der Werte ist, die häufig auf sie zurückgeführt werden. Das Wort wird immer wieder als Feigenblatt benutzt, um den fast totalen Abfall des Abendlandes vom Glauben durch eine schändliche, aber seit langem bestehende Heuchelei zu vertuschen, mit der manche Schusswaffenbesitzer vielleicht instinktiv gerne Schluss machen möchten. Ein amerikanischer Zeitgenosse, der begreift, dass die Kultur durch die Religion bzw. deren Fehlen bestimmt wird, ist Ron Austin, der in der Dezemberausgabe der Zeitschrift First Things einen Artikel über die Popkultur geschrieben hat, in dem er die Ansicht vertritt, diese sei weder Pop noch Kultur.

Austin ist ein mit allen Wassern gewaschener Hollywood-Drehbuchautor und Regisseur, der fast ein halbes Jahrhundert lang Popkultur produziert hat, meist für das Fernsehen. Er ist Mitglied der Amerikanischen Akademie für Kunst und Wissenschaft des Kinos, aber auch freier Mitarbeiter der Dominikanischen Schule für Philosophie und Theologie in Berkeley, Kalifornien, und somit kompetent genug, um zu beurteilen, was wahre Kultur ist. So schreibt er beispielsweise zu Beginn seines Artikels: „Der Schlüssel zum Verständnis der Moderne und ihres letztendlichen Scheiterns liegt in den vielen missglückten Versuchen, einen Ersatz für den religiösen Glauben zu finden . . . . Das einflussreichste und mächtigste Surrogat für ein sinnvolles Weltbild war die von den Massenmedien geförderte ‚Popkultur’ . . .” Popkultur, sagt Austin, sei ein Götze; als solcher sei sie hohl, denn sie sei weder Pop noch Kultur.

Laut Austins Definition ist „Pop“ was dem Volk gehört und nicht irgendeiner Elite. Er räumt ein, dass die Popkultur heute auf viele sehr anziehend wirkt, fügt jedoch hinzu, sie sei ihrer Natur nach synthetisch und industriell, weil sie auf keinen natürlichen und organischen Lebensstil zurückgehe; deswegen sei sie nicht wirklich volkstümlich. Der Begriff „Kultur“ ist nicht leicht zu definieren, aber Austin versteht darunter eine Lebensform, die auf von einer Gemeinschaft geteilten Werten beruht, welche sie auszudrücken vermag. Kultur in diesem Sinne kann einzig und allein organisch wachsen wie ein Baum, in einem natürlichen Tempo, das nicht beschleunigt werden kann; sie bedingt ein gemeinsames Gedächtnis mit einem Sinn für die Vergangenheit, eine Kontinuität von Werten, Zielen und Richtlinien. Doch die „Popkultur“ löscht die Vergangenheit aus. Deswegen ist sie keine wahre Kultur. Austin lässt die Jahrzehnte seines eigenen Lebens unter diesem Gesichtspunkt Revue passieren.

In den fünfziger und sechziger Jahren vollzog sich, wie er sich erinnert, eine wachsende Entfremdung von der Vergangenheit, bei der die Massenmedien eine entscheidende Rolle spielten. In den siebziger Jahren trieb eine Gegenkultur der Atomisierung und des Narzissmus ihre Sumpfblüten, mit mehr seichter Unterhaltung als je zuvor und ständig zunehmender Entrückung von der Wirklichkeit. Das Medium selbst wurde zur Botschaft, und die Moral basierte auf subjektiven Emotionen, welche die Medien als lukratives Produkt vermarkteten. Unterhaltung trat an die Stelle von Denken und Analyse. Diese Krankheit war zwar nicht tödlich, aber doch hochgradig ansteckend. In den achtziger Jahren wurden in den USA, Europa und Russland Versuche zur Erweckung alter Werte unternommen, die jedoch nachliessen. In den neunziger Jahren platzten einige falsche Hoffnungen, doch die Masse der Konsumenten war gespaltener denn je zuvor.

Immerhin verleiht der katholische Glaube im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends Austin eine gewisse Hoffnung. Wahre Kultur ist darauf angewiesen, dass sich die Menschen menschlich verhalten, und als wahre Vorbilder haben die Menschen Unseren Herrn und die Muttergottes. Es wird wieder die Saat der wahren Kultur ausgestreut werden, und es wird wieder Licht werden.

Austin ist auf der richtigen Fährte; er hat das wahre Problem erkannt, auch wenn seine Ausführungen zu diesem und zu seiner Lösung verhältnismässig oberflächlich bleiben. Denn das heutige geistige Klima, oder die heutige Kultur, ist nichts wenigeres als für die Seelen und deren ewige Rettung brandgefährlich. Es ist vollkommen normal geworden, entweder überhaupt nicht an Gott zu glauben oder, wenn man doch an Ihn glaubt, Ihn nicht ernst zu nehmen. Die Vergangenheit hat uns nur noch wenig zu sagen (ausser die Sechs Millionen, natürlich). Gegenüber Unmoral ist man gleichgültig. So etwas wie eine natürliche Ordnung, die zu respektieren wäre, gibt es nicht. Die Technologie ist unsere Rettung. Die Freiheit ist alles. Und diese Krankheit ist höchst ansteckend, weil sie so „befreiend“ ist. Möge der Himmel uns helfen!

Kyrie eleison.

P.S. Als kleine Reminiszenz an die elitäre Kultur von gestern – Kultur im wahren Sinne des Wortes – wird von Freitag, dem 23. Februar, bis Freitag, dem 25. Februar nächsten Jahres hier in Broadstairs entsprechend dem”Beethoven Blast” vor zwei Jahren Musik von Mozart gespielt werden. Einzelheiten folgen.

Farbe, Dichtung…

Farbe, Dichtung... on Januar 21, 2017

„Man kann nicht mehr von Politik, Bilanzen und Kreuzworträtseln leben. Man kann nicht mehr ohne Dichtung, Farbe, Liebe leben.” Diese Worte stammen von Antoine de Saint-Exupéry, einem französischen Aristokraten, Flieger und Schriftsteller, der zwar nicht katholisch war, jedoch in seiner Seele einen Kampf gegen den Materialismus des 20. Jahrhunderts ausfocht. Er sagte über sich selbst: „Ich bin ein Mann, der Asche durchsiebt, ein Mann, der verzweifelt versucht, auf dem Grund einer Feuerstelle die Glut des Lebens zu finden.” In seinem philosophischen Erinnerungsbericht Wind, Sand und Sterne (1939) schilderte er eine Szene, in der Arbeiter und ihre Familien in einem Nachtzug von Paris nach Warschau zusammengepfercht sind, und bemerkte dazu, dass ihn nicht ihre desolate Lage quälte, sondern dass er „in all diesen Menschen ein wenig den Mord an Mozart erblickte ”.

Dieses Zitat fällt mir ein, nachdem ich letztes Jahr die Bertramka besucht habe, eine Villa etwas ausserhalb des Zentrums von Prag in der Tschechischen Republik, die im späten 18. Jahrhundert durch mehrere Besuche des berühmten Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart bekannt geworden war. Damals konnte man sie von der Stadt aus in einem halbstündigen Marsch über Landstrassen und einen von Rosskastanien gesäumten Pfad erreichen; man betrat dann das Tor zum Vorderhof, der auf einen abschüssigen Garten mit Blumenbeeten und Obstbäumen hinausging. Heute ist die schattige Strasse einem riesigen Einkaufs- und Geschäftszentrum längs einer städtischen Strasse gewichen, auf der der Strom der Fahrzeuge lediglich durch die Verkehrsampeln aufgehalten wird. Das Tor steht immer noch da, doch der abschüssige Garten ist verwildert; man findet dort eine einsame Statue des grossen Tonschöpfers und jenen steinernen Tisch, auf dem er die Komposition seiner weltberühmten Oper Don Giovanni abgeschlossen haben soll. Schon bald darauf dirigierte Mozart die erste Vorstellung dieses Werks in der – immer noch in Betrieb befindlichen – städtischen Oper. Die beiden Zimmer, die Mozart in der Bertramka besetzte, sind im ursprünglichen Zustand bewahrt, aber eine einst dort vorhandene schöne Sammlung von Gegenständen, die irgendwie mit dem Komponisten verbunden waren, war im Oktober vergangenen Jahres nicht mehr dort. Die Bertramka hat immer noch eine ganz eigene Atmosphäre, doch vieles flüstert dort nur vom „Mord an Mozart”.

Doch war das Prag des 18. Jahrhunderts sehr freundlich zu dem grossen Komponisten gewesen. 1786 wurde Mozarts ebenso populäre wie berühmte Oper Figaros Hochzeit hier – im Gegensatz zu Wien – mit begeistertem Beifall bedacht, ebenso wie ein Jahr später Don Giovanni. Und als Mozart 1791 starb, liess ihn seine Heimatstadt Wien in einem Armengrab beisetzen, während Prag ihn mit einer gewaltigen Totenmesse ehrte, die von Tausenden besucht und von Hunderten von Musikern ausgeführt wurde, welche jede Bezahlung dafür ablehnten. Katholische Kaiser und Adlige hatten, um das katholische Böhmen nach dem verheerenden Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) wieder aufzurichten, zahlreichen böhmischen Kindern und Jugendlichen die Gelegenheit geboten, eine musikalische Ausbildung zu erhalten, um beim Gottesdienst musizieren zu können. Diese katholische Erziehung brachte in Prag ein Publikum hervor, das imstande war, Mozart und seine Musik auf Anhieb zu lieben.

Kann man dasselbe von den heutigen Katholiken sagen, oder sind wir auch „Mozartmörder”? Für Saint- Exupéry war Mozart das genaue Gegenteil des Materialismus. Doch wie viele Traditionalisten fühlen sich heutzutage durch eine gesungene Messe gelangweilt und können es kaum erwarten, zu ihren Bilanzen und Kreuzworträtseln zurückzukehren? Und schämen sich heute leider viele unserer Knaben nicht fast schon dafür, dass sie singen können? Über unsere Mädchen breitet man lieber den Mantel des Schweigens . . . . Würden sehr viele von ihnen nicht lieber Astronautinnen oder Volleyballstars werden, statt ein Musikinstrument zu spielen, das ihnen dabei helfen könnte, ihre Ehemänner zu zivilisieren, ihre Kinder zur Menschlichkeit zu erziehen und für Harmonie in ihrem Heim zu sorgen? Ein deutsches Sprichwort besagt, dass die Männer die Kultur schaffen, die Frauen sie jedoch weitergeben. Ist es nicht selbstmörderisch für eine Gesellschaft, in ihren Mädchen nicht die wahre „Kultur, Dichtung und Liebe” zu fördern, die einen segensreichen Einfluss auf ihre Familien und durch ihre Familien auf die Gesellschaft ausüben würden?

Was Mozart betrifft, so ist er sicherlich nicht der Höhepunkt der Spiritualität in der abendländischen Musik, und gegen das Ende seines kurzen Lebens trat er der Freimaurerei bei, was damals in Wien sehr modisch war. Doch ist er unvergleichlich spiritueller als die Welt der Einkaufszentren und Verkehrsampeln, wie Saint-Exupéry klar begriff, und es waren gewiss nicht die Freimaurer, sondern seine tiefkatholischen Eltern, die in dem Kind und Jugendlichen jenes katholische Herz formten, dem die ganze Spiritualität der Musik des Erwachsenen entsprang. Das am häufigsten gespielte Werk Mozarts ist sicherlich das kurz vor seinem Tod komponierte Ave Verum Corpus, weil es so oft in der Messe aufgeführt wird. Und an seinem zutiefst katholischen Requiem arbeitete er noch auf dem Totenbett. Möge seine Seele in Frieden ruhen!

Kyrie eleison.

Kultur Zählt

Kultur Zählt on April 25, 2015

Vom Freitagabend, dem 1. Mai 2015, bis Sonntagmittag, den 3. Mai 2015, wird hier im südenglischen Broadstairs wieder ein Seminar mit Dr. David White im Haus Königin der Märtyrer stattfinden. Letztes Jahr über Charles Dickens, diesmal über Thomas S. Eliot (1888–1965), einen weiteren großen englischen Schriftsteller mit einer direkten Verbindung zu diesem Winkel Englands. Dieser weltbekannte angloamerikanische Dichter saß in einer Freiluft-Gartenlaube mit Blick auf die Margate-Küste, rund acht Kilometer nördlich von Broadstairs, als er im Oktober bis November 1921 rund 50 Zeilen dichtete im dritten der fünf Teile seines Versepos Das wüste Land (englisch: The Wasteland, 1922), des wohl einflußreichsten Gedichtes im englischsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts.

Dieser Versepos ist ein hervorragendes Bildnis von der Leere in den Herzen und Köpfen der Menschen infolge des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918). In seinem Stück Das wüste Land schmiedete Eliot eine neue, fragmentarische Schreibweise der Dichtkunst, welche den gebrochenen Seelenzustand des modernen Menschen einfing. Sein breites und tiefes Verständnis für die künstlerischen Meisterwerke der Vergangenheit, allen voran Dante und Shakespeare, versetzte Eliot in die Lage, der geistlichen Armut von heute einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen. Beispielsweise erzählt in den sechs eindeutig mit Margate verbundenen Gedichtzeilen eines von drei Mädchen aus der Arbeiterschicht, wie sie ihre Mädchenehre für nichts verschenkt habe. Um die Leere im Leben aller drei Mädchen zu unterstreichen, rahmt Eliot ihre Worte ein mit Fragmenten aus dem Nibelungenlied der drei Rheinmädchen, welche die kosmische Vision von Wagners epischem Der Nibelungenring eröffnen und beschließen.

Also Leere und Nichtigkeit. Warum, um Himmels Willen, sollten katholische Christen sich mit solchen deprimierenden Autoren beschäftigen? Die Erlösung kommt von unserem Herrn Jesus Christus allein, nicht von der Kultur, und ganz besonders nicht von nihilistischer Kultur. Die folgende spezielle Antwort geht auf Eliot ein, und die allgemeine Antwort auf alle Formen der „Kultur“ – also jene Geschichten, Bilder und Musik, welche unumgänglich die Herzen und Köpfe der Menschen jeden Alters bilden und schmücken.

Eliot selber verwarf alsbald sein Werk Das wüste Land als ein „rhythmisches Murren“ und trat ein paar Jahre später der anglikanischen „Kirche von England“ bei. Obwohl er der modernen Nichtigkeit auf hervorragende Weise Ausdruck verliehen hatte, schwelgte er nicht in ihr. Er fuhr fort, eine Reihe von Theaterstücken zu schreiben, insbesondere auch das lange Gedicht, Vier Quartette (englisch: Four Quartets ) Diese Werke sind keineswegs nihilistisch, und über sie wird Dr. White, welcher Eliot sehr schätzt, in Kürze in Broadstairs auch sprechen. Weil Eliot ehrlich mit dem Problem sich auseinandergesetzt hatte, kam er zu keiner zu billigen Lösung – so wie unzählige Katholiken es taten, welche dem Zweiten Vatikanischen Konzil anheimfielen.

Generell ist das Verhältnis der Kultur zur Religion vergleichbar mit dem der Vororte einer Stadt zur Innenstadt. So wie ein General mit der Aufgabe, eine Stadt zu verteidigen, kaum die Vororte dem Feind überlassen wird, so kann auch der um seine Religion bemühte katholische Christ nicht gleichgültig gegenüber den Geschichten, Bildern und Musik sein, welche die ihn umgebenden Seelen bilden. Natürlich steht die Religion (bzw. Irreligiosität) im Mittelpunkt und die „Kultur“ am Rande des menschlichen Lebens, denn im Grunde genommen wird die Kultur der Menschen lediglich von ihren Verhältnissen mit ihrem Gott abgeleitet. Nichtsdestotrotz wirken Kultur und Religion zusammen. Wenn beispielsweise nicht so viele Katholiken unter dem Zauber des Hollywood-Films „Meine Lieder – meine Träume“ (englisch: „The Sound of Music“) gestanden hätten, wären dann ebenfalls so viele dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf den Leim gegangen? Oder wenn die gegenwärtigen Oberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. die katholische Kultur der modernen Antikultur zu gegenüberstellen gewußt hätten, wären sie dann heute so bedacht gewesen, wieder unter die Fittiche der Täter des Zweiten Vatikanischen Konzils zu schlüpfen? Wir sehen: auf die Kultur kann es ankommen, wie auf Himmel und Hölle.

Kyrie eleison.

Kulturalarm

Kulturalarm on Dezember 29, 2012

Viele Katholiken, welche die Priesterbruderschaft St. Pius X. lieben, weil sie ihnen über die Jahre so viel gegeben hat, könnten angesichts des jetzt offenbaren Schwankens der Bruderschaftsführung dem Gedanken erliegen, daß sie als einfache Laien nicht viel dagegen tun können. Womit sie falsch lägen. Solchen Gläubigen seien die folgenden Überlegungen eines Freundes von mir gewidmet. Zwischen den Zeilen werden sie lesen können, daß, falls Gott die Bruderschaft nicht rettet – was er natürlich jederzeit könnte –, dies teilweise auch an ihnen liegt. Der Brief des Freundes lautet, leicht angepaßt, wie folgt:—

„Eine praktische Vereinbarung zwischen Rom und der Priesterbruderschaft wäre für die katholische Tradition verheerend. Es genügt ein Blick auf die traditionellen Redemptoristen in Schottland und was mit ihnen geschah . . . . Die beiden Messen können nicht nebeneinander existieren. Die eine Messe wird die andere stets vertreiben . . . . Als ich kürzlich eine Novus Ordo Messe besuchte, war die ganze Kirche von ständigem Geschwätz und Klatschen durchdrungen . . . . Die hinter diesen zwei Messen stehenden Lager liegen einfach zu weit auseinander, als daß eine Einigung möglich wäre. Die Geisteshaltung des Modernismus einerseits und der Tradition andererseits passen unmöglich zusammen.“

„Sodann gibt es diese tiefgreifende Revolution, welche die moderne Zivilisation einschließlich der Tradition überwältigt hat und von der Traditionsführung meistens verpaßt wurde. Die Elektronik-Technologie hat eine kulturelle Revolution in unser Leben und vor allem in das Leben der jüngeren Generation hineingetrieben. Wenn die Elektronik nicht planvoll gehandhabt und gelenkt wird, schwächt sie mit Sicherheit den Glauben, weil sie das gesamte Leben der Menschen übernehmen kann. Insbesondere sind die Jüngeren anfällig dafür, von der Elektronik erfaßt zu werden. Sie „hängen“ den ganzen Tag an der Elektronik. Menschen, die sehr in sie hineinversinken, werden am Ende sogar funktionsgestört: sie vermögen morgens nicht mehr aufzustehen, keine lebendigen Gespräche mehr zu führen, geschweige denn am Arbeitsplatz durchzuhalten.“

„Wenn eine Sportmannschaft nicht mehr von ihrem Sportlehrer ermahnt wird, fällt schnell ihr spielerisches Niveau ab. Werden Katholiken bezüglich kultureller Themen wie Musik, weiblicher Kleidung, Fernsehen, usw. nicht mehr ermahnt, so beginnt ihr kultureller Niveau zu sinken – mit tiefgreifenden Folgen für ihren Glauben. Im Kampf, die Weltlichkeit aus ihren Heimen fernzuhalten, stehen traditionskatholische Eltern mit ihren Familien alleine da, weil die Bruderschaftsführung diese Kulturrevolution entweder verpaßt hat oder ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit widmet. Ich habe viele und lange Unterhaltungen mit traditionellen Familien geführt, welche tief besorgt sind über die Richtung, in welche die traditionelle Bewegung marschiert. Wollen religiöse Bewegungen aufblühen, so müssen sie gegenüber kulturellen Themen Flagge zeigen. Beispielsweise erfuhr die Tradition eine Stärkung, als sie damals Stellung gegen das Fernsehen bezog. Doch wenn bezüglich kulturellen Themen keine Stellung bezogen wird, so beginnt alsbald auch die Stellung bezüglich doktrinären Themen zu bröckeln.“

„Vielleicht hat das letzte Generalkapitel die Bruderschaft momentan noch vor dem Abgrund bewahrt, doch beruhigt mich das kaum. Dem Festlegen von klaren Bedingungen für künftige Diskussionen mit Rom im Hinblick auf ein Abkommen widmete es viel Zeit. Aber Rom ist seit 1988 im wesentlichen unverändert. Ich denke, daß die Bruderschaft wieder ihre prophetische Rolle übernehmen sollte, so wie sie es zu Zeiten von Erzbischof Lefebvre tat. Die traditionelle Bewegung muß dringend den Modernismus und Liberalismus verurteilen, welche die Kirche in ihre Selbstzerstörung führen. Doch in letzter Zeit verstummten diese Verurteilungen. Vielleicht sind viele traditionelle Priester von jenem Komfort abgelenkt, welchen sie sich von einer Einigung mit Rom versprechen.“

Nun sind Sie am Zug, liebe Leser: Hinweg mit der kitschigen und wertlosen Musik in Ihrem Heim. Und schmeißen Sie den Fernseher aus dem Fenster. Beschränken Sie den Einsatz von Elektronik auf ein Minimum. Liebe Mütter, tragen Sie Röcke, wenn möglich – also allermeistens. Andernfalls sollten Sie, liebe Leser, nicht darüber klagen, wenn Gott die Bruderschaft nicht rettet. Bekanntlich zwingt er seine Gaben niemandem auf. Gelobt sei sein Name allezeit.

Kyrie eleison.