Natur

„Marcellus Initiative“

„Marcellus Initiative“ on November 10, 2012

Letzte Woche präsentierten wir Einzelheiten zur „Marcellus Initiative,“ die mit dem Ziel gegründet worden war, Spenden für das Anliegen des kürzlich „ausgeschlossenen“ Bischofs zu erleichtern. Nun fragten einige Leser zurecht, wofür diese „Initiative“ denn genau stehe. Zuerst einmal wird sie die Kosten für den Umzug des Bischofs aus Wimbledon oder London an einen anderen Ort tragen, wo er dann verweilen wird. Weit über solche Unkosten hinausgehend ist der Begriff Initiative jedoch bewußt gewählt worden, um verschiedene Möglichkeiten offenzuhalten. Allerdings sei betont, daß Spenden an diese Initiative in nächster Zeit nicht dazu verwendet werden, einen Ersatz zur Priesterbruderschaft St. Pius X. oder ein neues Seminar zu finanzieren. Es gibt gute Gründe, warum diese beiden Anliegen ohne Eile sind.

Bezüglich einer Alternative zur Priesterbruderschaft sei gesagt, daß wir aus ihrer gegenwärtigen schweren Krise erst einmal die Lehre ziehen müssen. Die katholische Kirche fußt auf einer Hierarchie der Autorität, welche abwärts vom Papst bis in die unteren Ränge reicht. Allerdings hat unsere revolutionäre Welt inzwischen den natürlichen Sinn der Menschen für die Autorität so sehr zerstört, daß auf der einen Seite nur noch wenige Personen zu befehlen wissen, und auf der anderen Seite die meisten Menschen entweder zu wenig oder aber zu viel gehorchen. Der bodenständig gesunde Menschenverstand ist uns derart abhandengekommen, daß die katholische Autorität kaum mehr funktionieren kann. Auf ähnliche Weise, wie nur Gott allein die Autorität von Mose durch eine gewaltige Züchtigung der Rebellen wieder herstellen konnte (vergleiche viertes Buch Mose „Numeri“), so kann auch in unserer Zeit gewiß nur Gott allein die päpstliche Autorität auf die Beine stellen. Wird er dazu einen „Feuerregen“ schicken, vor dem Unsere Liebe Frau 1973 im japanischen Akita gewarnt hat? Wie dem auch sei; Glaubensoasen bleiben für uns eine unmittelbare und geeignete Möglichkeit, und ich meine ihnen nach Kräften dienlich zu sein.

Ähnliche Argumente gelten bezüglich des Neustarts eines klassischen katholischen Priesterseminars. Ein altes Sprichwort erinnert daran, daß man ohne ausreichende Mittel nicht an die Arbeit gehen kann. Auf unsere Situation angewandt: Es fällt immer schwerer, aus den heutigen Jungmännern katholische Priester zu formen. Übernatürliche Qualitäten des Glaubens, des guten Willens und der Frömmigkeit sind zwar eine große Hilfe, aber dennoch baut die Gnade auf der Natur auf, und diese natürlichen Grundlagen – wie z.B. ein stabiles Zuhause und eine wahrhaft menschliche Erziehung – fehlen heute immer mehr. Gewiß gibt es noch gute Familien, wo die Eltern verstanden haben, was ihre Religion von ihnen verlangt, um ihre Kinder auf den Weg in den Himmel senden zu können. Und gewiß geben etliche Eltern dabei auch heldenhaft ihr Bestes. Aber unsere abartige Zeit trachtet nach der Zerstörung des gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Anstandes von Geschlecht, Familie und Nation. Selbst mit den besten Absichten bleiben die Kinder des heutigen sozialen Umfeldes schlechterdings mehr oder weniger daran gehindert, eine Berufung Gottes wahrzunehmen oder ihr zu folgen.

Hat also Gott seine Kirche aufgegeben und läßt er uns in Zukunft ohne Priester sein? Natürlich nicht. Jedoch sind zwei Dinge zu beachten. Erstens darf eine zur Seelenrettung gegründete katholische Organisation von morgen keinesfalls ihren Scharfblick verlieren bezüglich der seelenzerstörenden Natur der Konzilskirche und der modernen Welt. Und zweitens können keine Priester von morgen ausgebildet werden, welche zwar die Summa Theologiae des Hl. Thomas von Aquin perfekt kennen, aber kaum eine oder gar keine Vorstellung haben, wie diese Summa auf das heutige Leben anzuwenden ist.

Kongregationen und Seminare von morgen müssen auf Biegen oder Brechen an der Wirklichkeit festhalten, anstatt davon zu träumen, wie „normal“ sie doch seien oder sein sollten. Ist diese Aufgabe zu schaffen? Mit Gottes Hilfe gewiß. Allerdings ist Gottes Weisheit unergründlich, und möglicherweise bedient er bei der Seelenrettung von morgen sich nicht mehr länger der klassischen Kongregationen und Seminare von gestern. Was mich angeht, so werde ich jedenfalls versuchen, Gottes Vorsehung beim Weihen von Priestern – und von Bischöfen – zu folgen. Gottes Wille geschehe.

Kyrie eleison.

Sarto oder Siri?

Sarto oder Siri? on September 29, 2012

Am Fest des Hl. Pius X. entglitt mir einmal in einer Predigt „fast eine Häresie,“ als ich laut fragte, ob Giuseppe Sarto der Kirchenzerstörung durch Paul VI. widerstanden hätte, wenn er nicht schon im Jahre 1914 als Papst, sondern z.B. erst 1974 als Kardinal gestorben wäre. Innerhalb der Priesterbruderschaft St. Pius X. muß diese Frage wie eine Häresie anmuten, denn wie könnte die Weisheit des himmlischen Schutzpatrons der Bruderschaft – um in unserem Fragebeispiel zu bleiben – auf irgendeine Art fehlerhaft gewesen sein? Dennoch ist diese Frage berechtigt.

In den 1970er Jahren suchte Erzbischof Lefebvre einige der besten Kardinäle und Bischöfe der Kirche in der Hoffnung auf, wenigstens eine Handvoll von ihnen von der Notwendigkeit des öffentlichen Widerstandes gegen die Revolution des Zweiten Vatikanischen Konzils überzeugen zu können. Er pflegte zu sagen, daß der gemeinsame Widerstand von nur einem halben Dutzend Bischöfen die konziliare Verwüstung der Kirche hätte ver- oder wenigstens behindern können. Doch leider Gottes unternahm nicht einmal der von Papst Pius XII. als Wunschnachfolger ausersehene Kardinal Siri von Genua einen öffentlichen Schritt gegen die konziliare Kirchenführung. Schließlich trat wenigstens Bischof de Castro Mayer hervor – allerdings erst in den 1980er Jahren, als die konziliare Revolution schon in der Kirchenspitze sich eingenistet hatte.

Wie konnte es geschehen, daß selbst die bestausgebildetsten Köpfe so umnachtet waren? Warum erkannten damals nur so wenige der besten Kirchenmänner, was Erzbischof Lefebvre klar sah? Wie z.B. die Tatsache, daß das Kirchen-„Gesetz,“ welches die „Novus Ordo“-Messe etablierte, überhaupt kein Gesetz war; denn es gehört zum Wesen des Rechtes, daß ein Gesetz eine vernünftige Verordnung für das Allgemeinwohl sein muß. Wieso blieb also der Erzbischof so relativ alleine in seinem Kampf, ein solches Grundprinzip des gesunden Menschenverstandes vor dem Ersticktwerden durch eine überbordende Autoritätshörigkeit zu beschützen – wo doch das Zweite Vatikanum und die Neue Messe das Überleben der Kirche selber gefährdeten? Auf welche Weise konnte denn die Autorität solcherart über Wirklichkeit und Wahrheit die Oberhand gewinnen?

Meine Antwort lautet: Dies alles geschah, weil die Christenheit seit sieben Jahrhunderten in den Glaubensabfall, auch Apostasie genannt, abgleitet. Seit 700 Jahren wird – abgesehen von edlen Ausnahmen wie z.B. die Gegenreformation – die Wirklichkeit des Katholizismus vom Wahn des Liberalismus wie durch ein Krebsgeschwür zerfressen. Dieser Liberalismus „befreit“ den Menschen von Gott auf mehrere Weisen: er „befreit“ die Natur von der Gnade, den Verstand von der objektiven Wahrheit und den Willen vom objektiven Recht und Unrecht. Während der längsten Zeit dieser Epoche, 650 Jahre lang, hielten die katholischen Kirchenmänner an der Wirklichkeit fest und verteidigten sie eisern. Doch am Schluß drang eine ausreichende Menge des allumfassenden Wahns der lockenden Moderne bis ins Mark der Kirchenmänner vor, so daß ihr Verstand und Wille den Bezug zur Wirklichkeit verloren. Wie der Hl. Thomas Morus über die englischen Bischöfe seiner Zeit sagte, welche die katholische Kirche verrieten: es fehlte ihnen die Gnade. So ließen die Konzilsbischöfe gerne zu, daß der bloße Menschenwahn anstelle von Gottes Wirklichkeit, und die Autorität anstelle der Wahrheit, rückten. Daraus ergeben sich praktische Lehren für den Klerus wie für die Laien.

Liebe Priesterbrüder innerhalb und außerhalb der Priesterbruderschaft: Hüten wir uns davor, so wie Giuseppe Siri zu verfahren, und reagieren wir so wie Giuseppe Sarto mit seinen herrlichen Verurteilungen der modernistischen Irrtümer in seinen Lehrschreiben Pascendi, Lamentabili und Notre charge apostolique über den Sillon. Und um die Gnade geschenkt zu bekommen, welche wir für die gewaltigste Krise in der gesamten Kirchengeschichte benötigen, müssen wir auch gewaltig beten.

Liebe Laien: Wenn die Greuel des modernen Lebens Sie „hungernd und dürstend nach Gerechtigkeit“ machen, so frohlocken Sie möglichst darüber, denn genau diese Greuel halten Sie an, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Und seien Sie ohne Zweifel, daß Sie durch Ihr Ausharren im Hunger nach Gerechtigkeit am Ende „Ihren Lohn erhalten werden“ (Matthäus 5,6). Selig die Armen im Geiste, die Sanftmütigen und die Trauernden, sagt unser Herr an derselben Stelle. Als sichersten Schutz vor der Übernahme unseres Verstandes und Herzens durch den liberalen Wahn beten Sie täglich fünf, oder am besten fünfzehn, Geheimnisse des Hl. Rosenkranzes unserer Allerseligsten Jungfrau Maria.

Kyrie eleison.

Blumenunterricht

Blumenunterricht on Juni 23, 2012

Wenn Blumen auf gewisse Weise etwas mitteilen können (vergleiche „Eleison Kommentare“ Nr. 255), dann vermögen sie aber auch auf gewisse Weise zu unterrichten: über den Wert der Zeit, über die Gerechtigkeit Gottes und über die Harmonie von Gnade und Natur.

Ein Beispiel: Nehmen wir an, daß Gott existiert und daß es gerecht von Ihm ist, den einer Seele zugedachten Platz in der Ewigkeit davon abhängig zu machen, welche Entscheidungen diese Seele während ihres kurzen Lebens traf (selbst wenn dieses Leben 90 Jahre lang gewesen sein mag). Bei dieser Annahme leuchtet dann ein, daß wirklich jeder Moment in diesem Leben zählt, und daß Gott in jedem einzelnen Moment dahingehend auf uns einwirkt (selbst wenn nicht stets mit der gleichen Kraft), uns in der Ewigkeit Ihm anzuschließen. Sodann ist auch die Annahme vernünftig, daß Gott durch Blumen und durch überhaupt jede Gabe in seiner Schöpfung tatsächlich zu uns spricht. Denn welche lebende Seele kann schon behaupten, daß sie niemanden und nichts zu lieben habe? Selbst der hartgesottenste „Atheist“ hat beispielsweise noch seinen Hund oder seine Zigaretten. Und wer entwarf diese Hunde und diese Tabak pflanzen, und wer legte sie so an, daß sie sich bis zum heutigen Tag fortpflanzen?

Dieser „Atheist“ mag zwar bis kurz vor seinem Tode immer noch behaupten, daß wenigstens zu ihm Gott nicht gesprochen habe. Doch sobald er gestorben ist, wird dieser Mensch mit einem Schlag erfassen, daß Gott in jedem Moment seines wachen Lebens durch das eine oder andere Geschöpf, das ihn umgab, auf ihn eingewirkt hatte. „Ist es nun ungerecht von mir,“ könnte Gott ihn dann fragen, „daß ich Dich für jeden weiteren Moment meines Lebens verdamme, weil Du Dich in jedem Moment Deines Lebens mir verweigertest? Erhalte nun, was Du gewählt hast: Weiche von mir – hinab in das ewige Feuer . . .” (vgl. Matthäus 25,41).

Betrachten wir nun den umgekehrten Fall: also eine Seele, welche einerseits jeden Moment ihres Lebens genutzt hat, um den großen und guten Gott zu lieben, der hinter all den Dingen, die sie genossen hat, steht. Und anderseits hat diese Seele aber auch verstanden, daß Gottes Vorsehung die schlechten Dinge, die dieser Seele nicht gefielen, zugelassen hat. Wer würde da noch wünschen, anerkannt zu werden, berühmt zu sein, in den Medien zu erscheinen oder Regale mit Urlaubsphotos zu füllen, um seinem Leben einen Sinn zu geben? Kein Wunder konnten in den vergangenen Zeiten talentierte Seelen ihre Talente in einem Kloster oder Konvent „vergraben,“ um sie ganz und gar dem liebenden Gott zu widmen. Denn in der Tat ist jeder Moment unserer Lebenszeit von unermeßlichem Wert, weil das Wohl oder Übel einer unermeßlichen Ewigkeit von jedem dieser Momente abhängt.

Darüber hinaus helfen uns die „sprechenden“ Blumen, ein anderes bekanntes Problem zu lösen, nämlich die Frage: Wie können nicht-katholische Seelen dafür verdammt werden, den katholischen Glauben nicht gehabt zu haben, wenn gar kein katholischer Missionär sie jemals erreichte? Von diesem Geheimnis kann wenigstens ein Teil gelöst werden, menschlich gesprochen, wenn wir folgendes bedenken: Derselbe eine Gott erschuf die Blumen und setzte die katholische Kirche ein. Selbst wenn daher eine Seele durch Gottes Vorsehung niemals die katholische Wahrheit von einem Missionär hörte, so kann diese Seele trotzdem sich nicht darauf berufen, nichts vom wahren Gott gewußt zu haben. Sie darf daher gerichtet werden gemäß dem, was sie wußte – beispielsweise was sie von der Schönheit der Wolkenformationen wußte, oder der Sonnenauf- und -untergänge. Hat diese Seele dann, als sie diese Schönheit sah, wie der heidnische Job gesprochen (Job 19,25): „Ich selber weiß, mein Erlöser lebt“? Oder sprach die Seele etwa: „Nun ja, ganz nett, aber jetzt will ich meines Nächsten Weib besuchen . . .”?

Tatsächlich teilen sogar Katholiken eine ganze Reihe von Klagen der heutigen Menschen gegen ihren Schöpfer. Denn viele Katholiken, wie überhaupt jeder heutzutage, sind durch ihr städtisches oder vorstädtisches Leben von der Natur mehr oder weniger abgeschnitten, und entsprechend künstlich wird ihre „Spiritualität.“ Jemand sagte einmal: „Wehe denen, die nie ein Tier liebten.“ Die Kinder sind Gott nahe. Es ist merkwürdig, auf welch natürliche Weise Kinder Tiere lieben.

O großer und guter Gott, schenke uns die Gnade, daß wir erkennen, wo Du zuinnerst in allem und jedem bist, und in jedem Moment.

Kyrie eleison.

Blumensprache

Blumensprache on Juni 2, 2012

Gott ist das unendliche Sein, die unendliche Wahrheit, die Allgüte; er ist allgerecht und allbarmherzig. Dies lehrt seine Kirche. Weil diese Vorstellung herrlich und schön ist, habe ich nichts gegen sie einzuwenden. Doch dann erfahre ich, wie seine Kirche außerdem lehrt, daß unsere Seele wegen nur einer einzigen Todsünde in alle Ewigkeit verdammt werden kann, zu brutalem und grausamem Leiden, das unsere Vorstellungskraft weit übersteigt. Weil dies nicht so schön ist, setzt nun mein Widerspruch ein.

Beispielsweise wurde ich weder angehört, als meine Eltern sich entschlossen, mich ins Dasein zu bringen, noch wurde ich wegen der Bedingungen meines „Existenzvertrages“ befragt, wenn ich das so nennen darf. Wäre ich gefragt worden, so hätte ich durchaus Einwände gegen diese extreme Alternative haben können zwischen einerseits einer unvorstellbaren Glückseligkeit und andererseits einer undenkbaren Qual – beides jeweils für alle Ewigkeit, wie die Kirche lehrt. Vielleicht hätte ich eher einen gemäßigteren „Vertrag“ akzeptiert, wo ich sozusagen im Austausch für eine kürzere Version des Himmels das Risiko einer kürzeren Version der Hölle in Kauf genommen hätte. Doch wurde ich ja, wie gesagt, gar nicht erst gefragt. Die Endlosigkeit beider Alternativen scheint mir einfach in keinem Verhältnis zur kurzen Lebensdauer auf dieser Erde zu stehen: Heute 10, 20, 50 oder sogar 90 Jahre auf der Erde, und morgen ist dann alles vorbei. Die Menschenkinder gleichen dem Gras: „Am Morgen sprießt es und wächst, am Abend welkt es und verdorrt“ (Psalm 89,6). Dieser Denkweise entsprechend scheint mir Gott so ungerecht zu sein, daß ich mir ernsthaft die Frage stelle, ob er wirklich existiert.

Diese Problemstellung zwingt uns zum Nachdenken. Nehmen wir einmal an, daß Gott existiert; daß er so gerecht ist wie seine Kirche sagt; daß es ungerecht ist, jemandem ohne seine Zustimmung eine schwere Last aufzubürden; daß das Leben kurz ist, geradezu eine Rauchwolke im Vergleich zur Ewigkeit; daß gerechterweise niemand eine grauenvolle Strafe erhalten kann, ohne gewußt zu haben, ein grauenhaftes Verbrechen zu begehen. Auf welche Weise kann dann der angenommene Gott gerecht sein? Wenn er gerecht ist, so muß logischerweise jede Seele ab dem Vernunftalter lange genug leben, um zu begreifen, für welche der beiden Ewigkeits-Orte sie sich entscheidet und welche enormen Auswirkungen diese Entscheidung hat. Doch wie kann so eine Entscheidung beispielsweise in der heutigen Welt getroffen werden, wo Gott im Leben der Einzelnen, der Familien und der Staaten so allgemein vernachlässigt wird bzw. für sie unbekannt ist?

Die Antwort kann nur lauten, daß Gott bezüglich den Einzelpersonen, Familien und Staaten den Vortritt hat und daß er der allererste ist, der innerhalb jeder einzelnen Seele „spricht“ – vor den restlichen Menschen und unabhängig von ihnen. Somit ist sogar jene Seele, deren religiöse Erziehung null und nichtig ist, sich dennoch bewußt, daß sie an jedem Tag ihres Lebens eine Entscheidung trifft, daß sie diese Entscheidung alleine und für sich selber fällt, und daß diese Entscheidung enorme Konsequenzen hat. Doch fragen wir erneut: Wie soll dies alles möglich sein angesichts der Gottlosigkeit der uns umgebenden heutigen Welt?

Die Antwort lautet: Weil das „Sprechen“ Gottes im Innern der einzelnen Seele viel tiefer, beständiger, gegenwärtiger und ansprechender stattfindet als das Sprechen irgendeines Menschen oder Geschöpfes es jemals sein kann. Gott allein hat unsere Seele erschaffen, und er wird in jedem Augenblick ihrer endlosen Existenz mit ihrer Erschaffung fortfahren. In jedem Augenblick ist Gott der einzelnen Seele näher als selbst die Eltern dieser Seele es sind, die ja nur den Körper dieser Seele aus materiellen Elementen zusammenfügten, welche allein durch Gott in ihrer Existenz gehalten werden.

Und auf ähnliche Weise steckt die Güte Gottes hinter und innerhalb und unterhalb aller guten Dinge, an denen eine Seele in diesem Leben sich erfreut. Tief in ihrem Inneren spürt die Seele, daß diese guten Dinge bloße Nebenprodukte der unendlichen Güte Gottes sind. „Sei leise,“ sagte der Heilige Ignatius von Loyola zu einer winzigen Blume, „denn ich weiß schon, von wem du sprichst.“ Das Lächeln eines kleinen Kindes, die tägliche Pracht der Natur zu allen Tageszeiten, die Musik, die Kunst in Form von Wolkenbildern am Himmel, usw. Wenn die Seele diese Dinge mit einer tiefgehenden Liebe liebt, so sagen sie ihr, daß es noch etwas viel Größeres, bzw. Jemanden viel größeren gibt.

„Bei Dir, Herr, suche ich Zuflucht; möge ich niemals zuschanden werden!“ (Psalm 30,2).

Kyrie eleison.

Glaube der Atheisten?

Glaube der Atheisten? on Oktober 8, 2011

Ein faszinierendes Zitat des berühmten deutschen Komponisten Johannes Brahms (1833 – 1899) zeigt, daß selbst ein Mensch ohne jeglichen religiösen Glauben noch eine objektive Ordnung erkennen kann. Eine solche Erkenntnis stellt einen Haltegriff an der Wirklichkeit dar und gewährte Brahms den Zugriff auf eine große Schönheit, welche sich in seiner Musik widerspiegelt. Die Krise unzähliger moderner Seelen hingegen besteht gerade aus ihrer Überzeugung, daß es nichts Objektives gebe. Somit sind diese Seelen in ihrer eigenen Subjektivität gefangen – ein Zustand, der ein sehr kahles Gefängnis darstellt und zu einer Musik von Selbstmördern führt.

Für seinen Freund, den hervorragenden Geiger Joseph Joachim (1831 – 1907), komponierte Brahms im Jahre 1878 eines seiner schönsten und beliebtesten Werke, das Violinkonzert in D-Dur. Als Joachim es ihm vorspielte, sagte Brahms: „Hm, ja, auf diese Weise könnte es gespielt werden.“ Anders gesagt hörte Brahms bereits beim Komponieren des Konzerts in seinem geistigen Ohr eine ganz bestimmte Spielweise dafür. Trotzdem anerkannte er die etwas andere Spielart seines Werkes durch einen anderen Musiker.

Zweifelsohne hätte Brahms gewisse Arten, sein Konzert auszuführen, nicht akzeptiert. Doch solange ein Künstler durch eine andere Art und Weise sich dem gleichen Ziel näherte, das auch Brahms beim Komponieren im Sinn gehabt hatte, sah er keine Notwendigkeit, auf seiner eigenen Spielweise zu beharren. Das objektive Ziel war wichtiger als die subjektive Vorgehensweise. Solange also Brahms durch seine Komposition den jeweiligen Künstlern das Erreichen dieses Ziel ermöglichte, durften sie in gewissen Grenzen das Konzert gerne auf ihre Art spielen. Das Objekt steht über dem Subjekt.

Letztendlich heißt aber dieser Vorrang des Objekts, daß Gott über dem Menschen steht, aber Brahms war immerhin kein Gläubiger. Der katholische tschechische Komponist Antonin Dvorak (1841 – 1904), welcher mit Brahms befreundet war und ihn bewunderte, sagte einmal über ihn: „Was für ein großer Mann! Was für eine große Seele er hat! Aber er glaubt an nichts! Er glaubt nichts!“ In der Tat war Brahms kein Christ. In seinem deutschen Requiem vermied er absichtlich jedwede Erwähnung von Jesus Christus. Außerdem gab er nie zu, an irgendetwas zu glauben. So behauptete er beispielsweise, daß die für sein Requiem verwendeten Texte der Heiligen Schrift lediglich dem Ausdruck von Gefühlen dienen sollten, aber keiner Überzeugung und keinem Glauben. Hier steht also das Subjekt über dem Objekt. Und dürfen wir nicht meinen, daß Brahms’ Bekenntnis zum Unglauben für eine gewisse in seiner Musik oft fehlende Ungezwungenheit und Freude verantwortlich ist?

Dennoch enthält Brahms’ Musik eine Art herbstlicher Schönheit und eine sorgfältig ausgearbeitete Anordnung. Diese Handwerkskunst und dieser Widerhall natürlicher Schönheit, beispielsweise in seinem Violinkonzert, erinnert an ein Wort unseres Herrn, wo Er sagt, daß manche Seelen Ihn zwar durch das Wort leugnen, aber durch die Tat noch ehren (Matthäus 21,28–29). In der heutigen Zeit leugnen fast alle Seelen unseren Herrn durch das Wort. Wieviele Menschen gibt es doch, welche auf die eine oder andere Weise – beispielsweise durch Musik oder durch die Natur – wenigstens jene Ordnung noch ehren, mit der unser Herr sein gesamtes Weltall ausgestattet hat? Diese Art zu glauben ist natürlich noch lange nicht der alleinseligmachende katholische Glaube, doch sie stellt wenigstens jenen glimmenden Docht dar, welcher noch nicht ausgelöscht werden soll (Matthäus 12,20).

Mögen alle mit der Fülle des Glaubens gesegneten Katholiken solche Seelen um sich herum wahrnehmen. Und erbarmen wir uns jener Scharen von Menschen, welche durch die Feinde Gottes von Ihm weggeführt werden – in der Musik wie in allen Bereichen (Markus 8,2).

Kyrie eleison.

Wahrheit macht frei

Wahrheit macht frei on Dezember 11, 2010

Der französische Maler Paul Gauguin (1848–1903) war lediglich ein Anlaß für die Argumentation der letzten drei „Eleison Kommentare“ (Nr. 175–177), denn er ist keineswegs der schlechteste moderne Künstler. Die Argumentation lautete nicht, daß die moderne Kunst „Quatsch“ ist, weil Gott existiert (vergleiche Evelyn Waughs „Wiedersehen mit Brideshead“ I, 6), sondern weil die moderne Kunst „Quatsch“ ist, existiert Gott. Es ist ausschlaggebend, ob wir hier von der Ursache auf die Wirkung herabkommen, oder von der Wirkung zur Ursache hinaufsteigen.

Wenn ich von der Existenz Gottes als Gegebenheit ausgehe und von dort nach „unten“ Schlußfolgerungen ziehe, beispielsweise daß die moderne Kunst, moderne Musik, moderne Operninszenierungen, usw., verkehrt sind, dann sind erstens dadurch Gott und seine Existenz noch nicht bewiesen, und zweitens kann es dann so aussehen, als ob Gottes Religion sich auf uns legt wie eine Radkralle auf unsere Freiheit. Nun bin ich ein freier Mensch, ich bin wer ich bin, und ich will mit jeder Faser meines Wesens frei wählen können, welche Kunst mir gefällt. Doch nun kommt so ein angeblicher „Verkehrspolizist aus dem Himmel“ und will mir diese Freiheit beschneiden? Nein danke!

Doch wenn ich andererseits von meiner eigenen Erfahrung mit der Kunst ausgehe, beginne ich bei dem, was ich selber kenne. Und wenn meine Erfahrung damit ehrlich gesagt enttäuschend ist – was nicht der Fall sein muß, aber angenommen, es sei so –, dann kann bei mir allmählich die Frage aufsteigen, warum ich mir angesichts der hochgelobten modernen Künstler so unbehaglich vorkomme. Also höre ich mir die Lobreden noch einmal an. Doch noch immer bin ich nicht überzeugt. Warum nicht? Weil die moderne Kunst häßlich ist. Was ist denn das Problem mit der Häßlichkeit? Es fehlt ihr die Schönheit. Und wenn mein Blick von der Schönheit in gemalten Landschaften oder Frauen z.B aufsteigt zu ihrer Schönheit in der Natur und von dort aus wiederum zu jener Harmonie in den Bestandteilen der gesamten Schöpfung, so sind meine Gedanken von meiner Erfahrung ausgehend bereits ein gutes Stück in Richtung des Schöpfers emporgestiegen.

Im letztgenannten Fall ähnelt Gott nicht mehr einem Verkehrspolizisten mit seiner Radkralle. Im Gegenteil scheint Gott – weit entfernt von einer Beschneidung unserer Freiheit – uns Menschen mit einem solchen freien Willen ausgestattet zu haben, daß wir imstande sind, landauf landab Häßlichkeit zu verkünden und eine Welt des Chaos zu schaffen. Vielleicht hofft Er, daß diese Häßlichkeit schrecklich genug werde, um unser Denken wieder auf das Wahre und Gute zu lenken. Ab diesem Punkt ähnelt Gottes Religion in keiner Weise mehr einer von außen kommenden und auf unserer inneren Freiheit lastenden Schraubzwinge, sondern sie kommt mir vielmehr als ein Helfer und Befreier des Besten in mir gegen das Schlechteste vor – denn wenn ich nicht stolz bin, so muß ich doch zugeben, daß nicht alles in mir geordnet und harmonisch ist.

In diesem Fall sehe ich die übernatürliche Gnade Gottes nicht mehr als eine Art Polizist an, der mir auf den Rücken meiner Natur springt, um ihr Tun gewaltsam einzudämmen. Vielmehr wird diese Gnade dann ein sehr guter Freund, der – so ich möchte – mir ermöglicht, das Beste in mir vom Schlechtesten zu befreien, oder jedenfalls danach zu streben.

Eine treibende Kraft hinter dem Zweiten Vatikanum und der konziliaren Religion war und ist noch die weitverbreitete Ansicht, daß die katholische Tradition eine Art unerträglicher Polizist sei und davon ausgehe, daß alle natürlichen Triebe schlecht seien. Tatsächlich sind die Impulse meiner gefallenen Natur schlecht, doch unterhalb des Schlechten gibt es das Gute in unserer Natur – und dieses Gute muß atmen können, denn von unserem Innern heraus stimmt es sich perfekt mit der von außen kommenden wahren Religion Gottes ab. Andernfalls fabriziere ich aus meinen schlechten Trieben eine falsche Religion – genau wie das Zweite Vatikanum.

Kyrie eleison.